Lieber K.,

diese Wochen werden es vier Wochen, in denen Du dort einsitzt.  Und ich fand mich stark. Es ist Dein Leben, Deine Entscheidung, rhabarbarber rhabarber rhabarber.
Letzte Woche nun  habe ich mit dem Haus – und Hofanwalt der Familie telefoniert und er machte :“Oh!“, so ein seltsames, leises kleines. So ein ganz komisches und erbot sich, Dir zu helfen.
Danach habe ich das erste Mal gegoogelt, weil ich die ganzen Wochen nicht verstanden habe, warum Du mit festem Wohnsitz und Ausbildungsstelle in U-Haft bleibst.
Was sind schon 110 gr, habe ich immer gedacht.  Ich weiß nicht, ob es daran gelegen hat, das ich in Kilos koche, also  1 Kilo Fleisch, ein Kilo Reis oder Nudeln und ein Kilo Gemüse, oder daran, dass in einem Päckchen Vanille -Zucker 8 gr sind und in Backpulver 15 gr. Und ich immer so viele davon brauche, wenn ich hier backe. Oder einfach so unendlich dumm bin, das ich nicht wirklich begreife, was dieses Gelumpe für ein Ausmaß hat.
Und ich habe gelesen, in einschlägigen Foren, wo sich Menschen in schlechtem Deutsch über die Wirkung und den Preis dieses Stoffes austauschten und Berichte der verschiedenen Polizei-Reviere in ganz Deutschland und Berichte von Leuten, die sich mit Sucht auseinandersetzen und habe gelernt, das dieses Gelumpe teurer wird, je weiter es im Landesinneren verkauft wird und habe festgestellt, dass beim Worst-Case diese elf Tütchen Vanillezucker mehr kosten als mein Auto.
Seit dem ist mein Magen nicht mehr nur wund, ich möchte dauernd kotzen und ich kann nicht. Erst war ich unendlich wütend über soviel Dummheit und habe Dich dauernd in meinem Kopf gefragt, ob Du nicht genügend schlechte Beispiele gehabt hast.
Und dann kam das Kotzen.
Seit Du dort sitzt, brennt auf meinem Balkon ein Licht für Dich. Als C. kam, fragte er mich voller Angst, wer gestorben sei. Und nun kann ich ehrlich antworten: Mein Sohn. Denn er wird nicht mehr der sein, der er war, den ich kannte.
Hätte ich das alles gewußt, als Du mich im Frühjahr so unvermittelt angerufen hast, um wie ein Kind mit mir zu reden, weil Du jemanden zusammengeschlagen hast und mir immer wieder sagtest, Mama, ich erkenne mich nicht wieder. Dann hätte ich Dir antworten können, wie es ist: Lass das Gelumpe aus dem Kopp, dann wirste auch wieder Mensch. Aber ich habe das nicht gedacht, ich hätte das nie gedacht, und ich hätte das auch nie erwartet. Nicht von Dir. Von Dir nicht.  Der kluge Junge, der einfach nur zu faul für die Schule war. Aber mir ist auch klar, dass man nicht alles seinen Eltern erzählt. Vor allem dann nicht, wenn man erwachsen ist. Und ich finde das auch gut so, auch wenn solche Dinge dann kommen wie ein Paukenschlag.
Nein, ich fühle mich nicht mehr belogen. Es hat Dich niemand geheißen, das Gelumpe zu nehmen, zu was auch immer. Es hat Dich niemand geheißen, mit diesen Leuten Dein Leben zu verbringen. Erinner Dich, ich habe Dich dauernd gebeten, mit mir zu kommen, weil sich irgendwas schief anfühlte.
Es erklärt sich so vieles, was ich vorher nicht verstanden habe. Das Du Deine Freundin, die erste große Liebe und die war richtig wichtig, weil ich noch weiß, wie vorsichtig Du mir von ihr erzählt hast, wie unsicher Du warst, ob Du aus dieser guten Freundschaft der Gefühle wegen nicht mehr machen solltest oder es der Gefühle zum Trotz bei einer guten Freundschaft belassen solltest, wie Du sie nachts allein gelassen hast, einfach im Streit davon gestürzt bist. An Deinem Geburtstag noch davon gesprochen hast, Dich zu verloben und eine Woche drauf war es aus und vorbei, aber richtig.
Du hast meine Geburtstage vergessen, sie wirklich vergessen, aber das ist völlig normal bei sowas. Du hast Dich bei niemandem mehr gemeldet. Und warst auch für niemanden mehr erreichbar. Ich weiß n och, wie ich Dir „booh“ auf das Facebook-Profil geschrieben habe und nix kam.
und ich sitze hier und schreibe Dir nette Briefe. Oder schicke Dir Bilder von Deinen Geschwistern. Wie sinnlos das alles ist.
Und ich habe begriffen, das ich alles andere gut tragen konnte, Omma, das Jobcenter. Nur Deins, das liegt mir fürchterlich im Magen. Und ich kann nicht mal hin fahren zu Dir, um mir ein Bild zu machen, weil es ist zu weit weg von hier. Und es hat mit Zeit und Geld zu tun.
Ich hab Dich lieb,
Mama

3 Gedanken zu “Lieber K.,

  1. Das ist heftig. Ich weiß, um was es hier geht. Das ist nicht der K. den Du kanntest. Hier in der Szene waren „solche“ Leute schon immer nicht gern gesehen. Denn die verändern sich. Schnell und radikal. Früher hatten wir die eiserne Regel: Sowas macht man höchstens 2mal pro Jahr. Einmal im Sommer, einmal Sylvester. Leute, die auf einmal mit: „Nur am Wochenende…“ anfingen wurden schnell zur Seite genommen und entsprechend auf sie eingeredet. Denn wenn man die eiserne Regel beachtet, ist es einfach. Aber in so kurzen Abständen saugt einen das ein. Da kann man gar nix gegen machen, das Feeling ist einfach ZU geil. Ich hab das in bestimmt 10 Fällen beobachen können. Es soll auch immer besser werden, je abhängiger man wird. Zwar nur psychisch abhängig, aber das in dem Fall die Hölle. Man denkt, man wird ohne wahnsinnig. Das Aufwachen kommt erst wenn die Kohle alle ist oder die Polizei klopft.
    Dein K. braucht nach der Kiste auf jeden eine umfangreiche Therapie. Denn die Gier nach dem Zeug hört nie auf. Und bei 110 g dürfte er sich schon in Kreisen bewegen wo ein Leben nicht viel wert ist. Sehr gefährlich. Da muss nur jemand einen Paranoia-Schub kriegen und ne Waffe dahaben. Dann war´s das.
    Also: Sei froh, das er erstmal weg ist. Da muss er durch. Wenn er rauskommt, kannste was machen.

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  2. Hallo…
    schlimm und traurig zu lesen! Ich wünsche dir und deinem K viel Kraft. Vielleicht schafft ihr es gemeinsam, wenn er WILL und KANN! Aber eine Mutter hört ja bekanntlich nicht auf zu kämpfen! In diesem Sinne .. ganz viel Kraft!

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