Scheiß bleibt Scheiß, auch wenn man Konfetti drauf schüttet. (frei nach Perle aus dem Pott)

Recht hat sie.

„Bleib stark, Safa!“ sagte meine Tante Gabi, als sie und mein Onkel meine Mutter im Krankenhaus besuchten. Einmal.

Bleib stark. Ja, was denn sonst?

Und ich sitze seit Tagen hier und kann mit der Situation nichts, aber auch wirklich nichts anfangen.

Ich habe gegoogelt und bloß einen Betrag zur Sterbebegleitung gefunden. Einen, zumindest, also einen, mit dem ich was anfangen konnte.

Wie unterstützt man denn jemanden, der stirbt?  Langsam vor sich, also nix mit Stecker raus und Licht aus.

Bleib stark. – Ehrliche Antwort?

Fick Dich!

Die Situation ist völlig neu für mich, ich komme mir vor, als wäre ich in einem Urwald ausgesetzt worden, es ist dunkel, ich habe meine Brille verloren, habe eine Nagelschere dabei und soll den Weg finden. Und Du, meine liebe Tante, arbeitest in einem Altenheim und sagst mir nix außer „Bleib stark.“?

Ich gestehe, am ersten Abend, als ich auf den Befund im Krankenhaus wartete, da war mir nach einem Schnaps. Nicht etwa, weil ich ihn mag, sondern weil…mir war da nach. Das ist so eine anerzogene Situation. Erstmal nen Schnaps.

Ich trinke nicht, nehme keine Drogen, auch keine bewußtseinsverändernden Präparate der Schulmedizin, denn wenn etwas Scheiße ist, dann bleibt es Scheiße, egal, was ich mir einwerfe. Also habe ich nicht getrunken und auch nicht das wohlwollende Angebot der Schwester in der Notaufnahme, ich solle nur sagen, wenn ich was brauche, man habe da,  genutzt. Ja, ich hab geheult. Ich heule viel. Wenn ich wütend bin, zum Beispiel, traurig oder aber richtig geschockt. Und wenn ich heule, dann macht das immer allen Angst. Und wenn ich geschockt bin, also nach Auto-Unfällen, Meldungen über Einlieferungen ins Krankenhaus meiner Liebsten, dann muss ich mich bewegen. Mag seltsam anmuten, wenn dann heulend ein-Meter-achtundsiebzig Kreise auf Fluren dreht. Aber es macht mir den Kopp frei und ich kann Informationen aufnehmen.

Laufen muss ich übrigens auch, wenn mir was weh tut. Nach meinem Sturz auf den Kopp im Krankenhaus zum Beispiel. Hat auch wieder die Schwestern verwirrt.

„Alles in Ordnung?“

„Jupp. Nur Aua.“  Wahrscheinlich robbe ich, wenn das Knie gemacht wird, aber wir werden sehen.

Aber zurück zu dem Bericht, den ich gefunden habe. Einen, in dem ich nicht aufgefordert wurde, irgendeinen Kurs zu machen und so und so viel Gebühren zu bezahlen.

Von drei Phasen war die Rede.

Verleugnen, Wut und Zorn und am Ende Akzeptanz.

Die Familie solle zusammen halten und jeder solle bei der Bewältigung dieser Phasen dem Sterbenden wohlwollend zu Seite stehen.

Seit dem weiß ich, dass ich doch einen Zweitnamen habe.

Jeder.

Manchmal habe ich schon vor der Leukämie gesagt, ich sollte mir vielleicht so eine alterstypische Sache zu legen. So einen Schrank voll mit Medikamenten. Hormone, irgendwas für den Magen, irgendwas zum Schlafen ( Wenn ich nicht schlafe, bleib ich halt auf. Irgendwann haut es mich schon um.), und irgendwas zum Aufwachen. Zum Kaffee morgens, den ich dann aber vielleicht lieber in entkoffeiniert trinke. Oder Rotwein. Da ist ja nix bei, wenn man jeden Abend eine, eher zwei oder drei Flaschen davon leert. Zwischendrin gehe ich dann mal in eine Psychiatrie und mache noch mal eben eine Kur und eine Reha. Und zack, ist das Jahr um. Gelöst ist trotzdem nix. Ich denke immer, ich würde dann ernster genommen.

Aber: Es ist mir zu anstrengend. Ehrlich. Das Rumgesitze bei Ärzten. Bunte Pillenpackungen in sanften Gelb mit Lila-Schmetterling drauf…Hat mir wirklich mal eine Ärztin verschrieben. War irgendwas Anti-Depressives, nachdem ich tatsächlich über eine Woche nur noch eine Stunde Schlaf fand. Hab ich nicht genommen. Fand sie nicht so doll. Dafür blieb ich zuhause und sortierte mein Leben neu. Also, es ist anstrengend, dieses da Rumgesitze. Ja, es ist schon lustig, wenn ich mich zwar nicht in meiner Nachbarschaft auskenne, aber dafür voll informiert bin über die, in der die beiden Frauen gegenüber im Wartezimmer wohnen…Also nö.

Omma befindet sich in der Phase „Leugnen“ in ihrem Prozess. Ich bin schon eher bei Wut und Zorn.

Omma war gestern wieder zum Blutbild und das war schlecht. Vorgestern blutete sie schon wieder im Mund. Habe ich gesehen, als sie mich angelächelt hat. Und gestern nun bekam sie wieder zweimal Thromobozyten.

Ja, habe ich gelesen. Das macht man bei dieser Krankheit so lange, bis der Patient keine Lust mehr hat. Die Dinger sind eh übermorgen wieder weg. Das ist wie Wasser in ein Sieb schütten. Wir auch irgendwie nicht voll.

Das Schlimme an der Geschichte ist das Leugnen. Meine Mutter, die jeden Sonntag Gottesdienst mit nimmt, auch wenn sie immer wirkt, wie wenn sie den Kinderglauben nicht verlassen hat. Komm‘ , Herr Jesu‘, sei unser Gast und segne, was Du uns bescheret hast. Jeden Mittag durfte ich das Sätzlein sagen als Kind. Mein Nachtgebet habe ich aber im Laufe der Jahre vergessen. Gott und ich, das war eh nie so. Der konnte mich noch nie leiden, das jedenfalls wußte ich schon als Kind. Immerhin habe ich nächtelang in meinem Bett gelegen und ihn angefleht, er möge machen, dass ich aufhöre zu atmen und nicht mehr da bin. Und als er mich wirklich nicht erhörte und ich habe das lange gebetet, habe ich es mit Luft anhalten probiert. Das war so etwa in der zweiten Klasse der Grundschule. Und wenn man dann morgens wieder aufwacht, fühlt man sich wie ein echter Versager, ich sag’s euch.

Nunja. Egal. Omma hat Angst und leugnet. Sie erklärt mir allen Ernstes, dass die CLL ja erst jetzt festgestellt worden sei, was nun tatsächlich nicht stimmt, denn die wurde schon 2013 festgestellt. Aber da war sich Omma sicher: Keine Behandlung, ich bin alt.

Aha.

Und das Bluten im Mund kommt von der Chemo.

„Mama, die Chemo ist schon zehn Tage her.“

„Doch, das kommt von der Chemo, ich habe mit anderen Mitpatienten gesprochen. Außerdem habe ich aus der Nase und den Ohren geblutet.“

Ich weiß, dass sie durchaus auch aus den Augen bluten kann, eigentlich überall raus, bei dieser CLL.

Ich frage mich, ob sie überhaupt noch alleine zuhause bleiben kann. Warum der soziale Dienst nicht eingeschaltet ist.  Meine Vermutung ist, dass sie wieder überall gesagt hat:

„Das macht meine Familie.“ Und dabei hat sie verschwiegen, dass sie nur ein Stück Familie hat, das tatsächlich macht.

Aber wie trage ich sie über das Leugnen?

Wie bringe ich sie durch die Phase der Wut und des Zorns?

Wie halte ich sie, wenn die Akzeptanz kommt?

Was wird das für eine Quälerei werden, wenn die nicht kommt.

Und was finde ich dazu? Nix. Machen Sie einen Kurs. Aha.

Und was finde ich dazu im Netz? Nichts wirklich.

Mal ein Arzt, der das Maul aufmacht, bitte. Der klare Worte findet und nicht rumdruckst und rumdruckst mit vielleicht, ggf ., evtl.. Alle von denen haben schon Onkologie-Erfahrung, aber wenn ich fragen komme, dann…jaaaaaa, kann ich nicht sagen,  daß weiß man nicht….Welche Unterstützung braucht Omma außer Wäsche, Mittagessen und Flurwoche? Kann sie wirklich in diesem Stadium der Krankheit noch alleine zuhause sein?

Aus lauter Verzweiflung habe ich schon die Telefonseelsorge angerufen. Die haben klar auch keine Antworten. Und am Ende der Satz „Passen Sie gut auf sich auf!“ .

Den habe ich vor Jahrzehnten immer am Ende meiner Bügelaktionen im Fernsehen gehört. Da gab es diese Sendung mit dem Pfarrer, der auch immer sagte: „Passen Sie gut auf sich auf.“ Rausgeflogen ist der, nachdem er Menschen, die arbeitslos geworden waren und darunter litten, den Rat mit gab „Wenn Sie keine Arbeit haben, dann schaffen Sie sich welche.“. Also Rausgeflogen bei mir.

Passen Sie gut auf sich auf.

Ein wohlwollender Rat, sicherlich auch wichtig und vor allem oft ganz liebevoll.  Ich mach das schon. Ich fall ‚ nicht um und halte es mit dem Drögeschen Prinzip.

Dr. Dröge war Zahnarzt und Naturheilkundler in Seesen und der sagte mir, daß man eh immer nur das Päckchen zu tragen bekommt, das man auch tragen kann. Also werde ich das schon wuppen, irgendwie. Aber es wäre ein schön, wenn jemand in diesem Urwald mal das Licht an macht, mir meine Brille wieder gibt und mir den Weg weist.  Das wäre echt klasse.

 

 

 

Keine gute Zeit.

Keine gute Zeit.

Am 30. Oktober wäre unser Omma fast gestorben. Sie kam als Notfall ins Krankenhaus. Und wurde mit Blut und Thrombozyten infusioniert, infundiert oder wie auch immer man das Blutkonserven kriegen nennt.

Keine gute Zeit.

Am 31. Oktober teilte mir der Vater meiner Enkelchen/Pflegetöchter mit, dass ich ihn um zehn aus der Liebenburger Psychiatrie holen und um zwei zurück bringen könne. Er wolle Omma sehen.

Ich holte ihn und erkannte ihn nicht wieder. Nein, ich habe nicht zugehört, warum er jetzt wieder dort war und wieso er die Jacke meines jüngeren Sohnes an hatte, die ich dem doch erst eine Woche zuvor gekauft hatte.

„Gib sie ihm zurück und zwar flott.“

Wir fuhren bei der Bank rum und ich holte Geld für Kuchen. Wir wollten mit Omma Kaffee und so im Krankenhaus und wollten ihre Katze reinschmuggeln.

Der junge Vater stellte fest, dass sein Konto leer geräumt war und damit nahm das nächste Drama seinen Lauf. Er hatte im Suff seine Bankkarte und seinen pin an seinen Bruder mit den Worten “ Kannste haben, heb alles ab. Ich brauche es eh nicht mehr!“ gegeben.

Keine gute Zeit, denn er kam abends, klingelt und prügelte sich mit dem Sohn, den er die Karte und den Pin gegeben hatte, in meinem Hausflur.

Eine Dose Pfefferspray und fünf Polizisten sorgten für Ruhe.

Keine gute Zeit.

Omma bekommt Chemo und Thrombozyten und arbeitet bei Regen im Garten.

Der 75. Geburtstag fand im Krankenhaus statt. Aus der Küche bekam sie einen Butterkeks zum Frühstück. Aber immerhin hat ihr der behandelnde Arzt gratuliert.

Mein Geburtstag ein paar Tage vorher fand auch im Krankenhaus statt, wenig zuhause und auf der Arbeit. Im Krankenhaus deshalb, weil ich gut zweieinhalb Stunden auf die Visite wartete, um genau zu erfahren, was da nun passiert.

Omma hat CLL und ist mit der Blastenkrise eingeliefert worden. Sie ist 75 Jahre und macht nun ein halbes Jahr Chemo.

Sie erklärte mir, sie werde eine Pflegestufe beantragen und ich solle sie pflegen. Das Geld bekäme ich.

„Nein.“

„Mama, ich kann für dich einkaufen, die Wäsche machen, die Flurwoche und wegen mir die Wohnung putzen, aber mehr ist nicht drin.“

Ich müsste sonst meine eigene Familie verlassen und das will ich nicht.

„Kann jemand von Euch mit einkaufen fahren?“

„Nein, Mama. Wir haben darüber gesprochen. Mach eine Liste, wir bringen das mit.“

Nächster Tag dasselbe Gespräch wieder und wieder und wieder…

Keine gute Zeit.

Am 20. November wird mein Knie aufgemacht. Es ist eher wahrscheinlich, dass ich nicht mehr als Cleanschlampe arbeiten kann. Ich weiß gar nicht, was ich sonst machen soll….

Keine gute Zeit.

 

Update

Der Oktober war nicht meins. Nicht unsers.

Ohne zu übertreiben kann ich erklären:

Ich bin auf den Kopf gefallen.

Tatsächlich, wirklich und wahrlich.

Hatte ich doch einen Hundepsychiologin beschäftigt, die mir eindringlich erklärt hatte, ich müsse Olaf nehmen wir er ist. Und zu den Grundprinzipien gehörte auch, dass, so Olaf auf mein Rufen nicht zu mir kam, aber wenigstens den Kopf zu mir bewegte, dass dann sein Weiterlaufen allein in freier Wildbahn eben in jenem Moment die Belohnung sei…

Da Olaf immer an der Leine zerrte und mir jeden  Spaziergang versaute,  er auf Geräusche reagierte, zur Seite aus zu weichen suchte, aus diesem Grund kaufte ich eine Flexi-Leine.

Und das wurde mir zum Verhängnis. Er funktionierte ganz gut und Spaziergänge machten wieder Spaß. Die Gier, mit dem Hund einfach wieder draußen zu sein, bei Regen, Sonnenschein und wildem Wetter….ich sah mich am Ziel.

Bis Mittags am 5. Oktober. Da sprang aus einem Garten dem Olaf direkt vor die Nase und sein Vier-Rad-Antrieb setzte sofort ein, die Leine spannte und als ich auf dem Teer auf meinem rechten Arm liegend den Zustand zur Kenntnis nahm, da stellte ich fest:

„Du kriegst nicht richtig Luft. Scheiße.“ Und dann dachte ich an den Hund, der mit der Flexi am Halsband irgendwo herum lief….ich kam nicht so schnell hoch, aber ich hatte langsam wieder Luft und rief nach Hilfe.

Beim Aufrappeln waren sie da, die Bauarbeiter, die auch den Hund einfingen.

Ergebnis: Ein Tag im Kranknhaus, zwei  Zentimeter Platzwunde an der Stirn, eine eklig dicke Hand, die auch jetzt noch Theater macht, auch wenn  sie nicht mehr dick ist. Alles so gezerrt und geprellt, dass ich eine Woche nicht mal ohne Schmerzen Schlucken konnte, aber nichts gebrochen. Immerhin, oder?

Donnerstag die Woche drauf, ich war krank geschrieben, aßen die kleinen Mädchen des hiesigen Hauses zu abend. Lachten und freuten sich, kasperten. Ich ging in die Küche und es tat einen Schlag.

„Blöde Katze!“ dachte ich. „Das dumme Tier hat wieder was runter gerissen! Aber ich räume das später auf!“

Es war nicht die Katze, es war Selma. Sie hatte gekippelt und war nach hinten übergekippt und hatte mit dem Kopf die Heizung getroffen. Zwei Zentimeter Loch im Kopp. Ab zum Nähen ins Krankenhaus.

Donnerstag. Mist -Tag. An einem Donnerstag war meine Kollegin mit einem entzündeten Blinddarm im selben Krankenhaus operiert worden, am Donnerstag ich geklebt und geröngt,  und Omma hatte just an diesem Tag ihr Auto auf der Tankstelle kaputt gefahren, am Donnerstag drauf Selma….Freunde, wehe! WEHE!

Der nächste Donnerstag verlief ruhig. Der darauffolgende auch.