Sinkflug

Ommas Thrombozahlen sind immer noch genauso schlecht wie letzte Woche. Und sie ist immer noch sauer.

Ich rufe jeden Tag an und gestern ging sie dann einfach mal nicht dran.

„Du lässt es ja immer so kurz klingeln!“ war ihr Vorwurf an mich.

„Mama, ich bin jedes Mal auf die Mailbox gelaufen. Jedesmal. Länger klingeln lassen kann ich nicht….“

Heute morgen habe ich sie nun erreicht.

Thrombos habe sie nicht bekommen. Aber Chemo, zu der fahre sie heute.

„Chemo bei so wenigen Thrombozyten?“

Ich verstehe nicht.

„Ja. Ich fahre da jetzt hin, das Zeug ist ja bestellt.“

Auch so eine Sache. Habe ich bestellt, dann mache ich das auch. Solche Entscheidungen werden nicht kurz vor knapp revidiert oder hinterfragt.

„Jedenfalls geht es mir schlecht.“ Sie ist so sauer. Und ich gehe wieder in Deckung. Das waren schon früher die Momente, in denen man lieber in Deckung ging.

Wir verabschieden uns.  C. meint zu alledem nur: „Die werden schon wissen, was sie tun.“

Er ist so pragmatisch. Recht hat er. Die haben das studiert mit ihrem Numerus Clausus.

Schon vor Wochen habe ich mich gefragt, was hier so denn passiert.

Omma ist 75. Ja, 75 Jahre alt. Und ich frage mich, was sie erwartet. Es ist furchtbar, mit zu erleben, wie jemand quasi sehenden Auges auf der sinkenden Titanic steht und man kann ihm nur zuwinken. Jemand, der da steht und einfach nur will, dass das Schiff weiter fährt.

Schon früher habe ich gefürchtet, dass es genauso enden wird, wie es im Moment ist.

Mit ganz viel Wut. Wut auf die Welt, Wut auf alle Menschen und noch mehr Wut auf mich.

Meine Kinder weigern sich, hin zu gehen. Sie wollen nicht angebrüllt werden.

Wenn ich das Omma vorsichtig sage, dann schreit sie mich nur an, sie sagt, was sie denkt und damit basta.

Das Handy ist immer noch nicht neu. Sie weigert sich, mal eben in den Elektronik-Laden zu fahren und sich eins zu kaufen, ich soll mit ihr zusammen fahren und weiß aber gar nicht wann.  Und das dauert mit Sicherheit wieder einen ganzen Vormittag und zwischendrin muss ich mich die ganze Zeit anmisten lassen.

Der ganze Frust auf mich und meine verkorkste Existenz kommt hoch.  Wie vor ewigen Jahren.

Alles, was sie sich gewünscht hat für mich, alles habe ich nicht erfüllt. Keine Karriere gemacht, nix zum Vorzeigen nach Hause gebracht. Und jetzt?

Jetzt will der eigene Körper nicht mehr, jetzt, wo sie sich das Leben so macht, wie sie es möchte, jetzt, wo sie endlich lebt, wie sie es will und sagt, was sie denkt und zwar genauso, wie sie es denkt. Jetzt kommt diese Krankheit. Und dann diese undankbare Tochter! Die fährt nicht mit ihr zum Einkaufen und schickt eher große Kinder zum Treppe putzen, was Omma aber nicht will. Und die schickt diese Kinder auch  zum Wäsche abholen und bringen, was Omma auch nicht will. Omma will, das ihr Kind kommt, und Ommas Wäsche bei Omma wäscht und die dann auf den Trockenboden zum Trocknen hängt. Und Omma will, das die Tochter kommt und das Treppenhaus und die Wohnung putzt, und zwar dann, wenn Omma will und wie Omma will. Und Omma will vor allem, das diese undankbare Tochter mit ihr zum Einkaufen fährt und dann hinterher mit ihr ins Cafe geht.

Omma hat klare Vorstellungen.

„Ich beantrage eine Pflegestufe und Du pflegst mich dann!“ Ihre klare Aussage im Krankenhaus.

Mama, ich habe ein schlechtes Gewissen. Ein ganz großes schlechtes Gewissen.  Sei Dir desssen bewußt. Aber: Ich will meine Familie nicht aufgeben. Denen habe ich mit ihrer Geburt ein Versprechen gegeben. Und von denen können nicht alle allein laufen im Leben.

Und könnte ich Pflege, dann wäre ich dort beschäftigt. Schon ewig.

 

 

Rassismus

https://www.welt.de/vermischtes/article172302125/Umstrittene-H-M-Werbung-Das-Empoerende-ist-der-Rassismus-Aufschrei.html

Es läuft ja nun durch die Medien und ich wurde von C. morgens informiert, als die Hundetrainerin da war.

Ein Junge mit Aussehen von da, wo viel Sonne ist. Vielpigmetiert. Er trägt also ein Sweat-Shirt und es steht Affe drauf.

Coolest Monkey In The Jungle.

Super! Genau DAS Sweat-Shirt. DAS brauche ich. Passt zu allen Pubertieren hier.

Coolest Monkey In The Jungle.

Meine Kinder sind aus Gründen nicht vielpigmentiert. Und damit hat es nicht mehr mit Rassismus zu tun, sondern ist ein Ausdruck des elterlichen Frusts.

Nun habe ich mich gefragt, warum das denn dann bei meinen Kindern kein Rassismus ist, aber bei dem hübschen Kind aus der Werbung?

Und dann fragte ich mich, warum denn meine Kinder problemlos dieses Sweat-Shirt tragen könnte, der Junge aber auf gar keinen Fall, weil es sich ja dann um sowas wie Rassismus handelt….

Ist es nicht auch Rassismus, wenn man jemandem verbietet, so etwas zu tragen, weil es wegen seiner Hautfarbe dann Rassismus ist? Ich meine damit, so darf ja gar keiner, der nicht käse weiß ist, ein Kleidungsstück mit „Coolest Monkey In The Jungle“ tragen.

Testlauf

Ommas Handy ist kaputt.  Irgendwie schalten sich wohl alle Apps permanent ab und es fordert eine Überprüfung.

Eine Überprüfung von was?

Vom Handy, so sagt jedenfalls unser Omma.

Heute morgen guckte ich wie immer drauf und es fehlte die Lebendkontrolle.

Die Lebenkontrolle ist eine What’s-App-Nachricht mit „Moin, moin, blablabla.Gute Wünsche.“

Seit die kommt, finde ich die schon pervers.

Ommas Blutwerte sind schlecht.  Schlechter als Anfang November und wenn die nächste Woche weiter so schlecht sind, dann bekommt sie erstmal Thrombozyten und danach Chemo.

Omma hatte mich zwischenzeitlich besucht, um mir zu erklären:

„Ich bin krank. Schwer krank. Das ist eine schwere Erkrankung….“

„Ja, Mama. Wir haben uns informiert.“

Seltsamerweise war sie in den letzten Wochen beweglicher als ich. Erst seit zwei Tagen fahre ich wieder Auto. Allerdings kann ich die Mädels noch nicht aus der Kita abholen, weil Selma gern mal weg läuft und ich mit Krücken nicht hinterher komme.

Aber Auto fahren – immerhin. Ich kann allein zur Krankengymnastik. Hachja. Muss nur einen Parkplatz finden, der breit genug ist für die Tür….egal.

Also Omma war beweglicher als ich und kam dann rum.

Nun fehlte heute die Nachricht.

Ich musste erstmal tief Luft holen.

Keine Nachricht.

Schlecht.

Was mache ich denn jetzt?

Noch nicht mal angezogen, nicht geduscht, mit Krücken und C., der seit gestern fiebert.

Naja, immerhin kann ich Auto fahren. Da kann ich ja rum fahren.

Keine Nachricht. Das ist schlecht.

Ich habe mir erst mal eine Zigarette gedreht und geraucht, während das Wasser für meinen Kaffee am Morgen kochen sollte.

Was wird mich da erwarten?

Liegt sie im Bett? Ist sie gefallen? Sitzt sie im Sessel? Hat sie geblutet oder ist sie eingeschlafen? Einfach so mal eben so….

Ich trinke jetzt erst einen Kaffee.

Was mache ich denn jetzt? Keine Nachricht. Schlecht.

Ich muss ja den Puls wenigstens fühlen, wenn sie da irgendwo liegt oder sitzt.

Und genau da merke ich: Ich kann das nicht.

Ich kann das einfach nicht.

Sollte ich C. doch lieber fragen, ob er nicht mit kann? Aber der hat Fieber, was für eine Quälerei.

Und einen der Jungs? Das sind Kinder. Ich weiß ja nicht, was mich da erwartet, wenn ich das schon nicht weiß….Ich kann das nicht.

Was mache ich denn jetzt?

Ich habe dann erstmal angerufen.

Nein, alles gut. Das Telefon ist kaputt.

Ich erkläre ihr, dass C. nicht kommen kann, weil er krank ist.

Was er denn hat, will sie wissen.

Fieber. Rückenschmerzen und Kopfweh.

„Aha.“

Dieses verhasste Aha, dass alles so nieder macht.

Nunja, zurück zum Telefon.

Ich sage ihr, dass ich gucke, noch morgens jemanden rumzuschicken. Aber selbst kann ich nicht.

Ich muss Kinder hüten und C. Von den Jungs ist noch keiner auf.

Ich schicke Groß E. zwei Hühner und Suppengemüse kaufen, immerhin hat die Brühe ja auch den Mädchen geholfen. Wird eigentlich noch Antibiotikum in der Hühnerzucht verwendet? Wenn ja, auch gut. In diesem Fall.

Letztendlich rufe ich sie mittags an, aber da ist sie schon nicht mehr da.

C. liegt und alles tut ihm weh.

Trotzdem teile ich mit den vier Großen auf, wie was gemacht wird, wer mit mir einkaufen fährt.

Kurz und gut: Omas Handy geht immer noch nicht. Und sie ist garantiert sauer.

Und ich weiß: Ich kann das nicht. Ich würde gern auf die Lebendkontrolle verzichten und den Rest an Pflegepersonal übergeben.

Ich möchte kein Pflegepersonal sein – ich kann das nicht.

 

Game of Thrones

„Ich habe Tyrion getroffen. Er lässt Euch grüßen!“

„Wer ist das?“ Jeder der Jungs stellt mir diese Frage.

„Weiß ich doch nicht. Du magst doch Game of Thrones.“

 

Staffel Achthundertdrölf

Nein, soweit sind die wohl noch nicht.

C. ein Programmpaket bei Entertain dazu gebucht. Wir können zwar immer noch nicht alles gucken, aber so können wir wenigstens noch mehr nicht gucken, weil keine Zeit.

Jedenfalls lief auf einem dieser Sender Game of Thrones.

Ja, ich hatte das schon vor Ewigkeiten mal geguckt, als der eine so gefoltert wurde. Fand ich jetzt nicht so….sooo toll. Und zwischendrin noch mal eine Folge –  das Mädel mit den Drachen, jo. Aber dann war gut.

Nun hatte ich immer wieder von den Jungs hier gehört: Game of Thrones! Yeah. Super toll. Boah, schon Staffel so und so. Wollen wir das nicht zusammen gucken? Das war nun dauernd ihre Frage.

„Och nö. Das doch irgendwie doof….ist ja nur Rumfolterei und Weglauferei…“

„Ich habe Tyrion getroffen. Er lässt Euch grüßen!“

Dann kam ich zu C. ins Zimmer und es lief Game of Thrones.

„Was guckst du denn da?“ wollte ich wissen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass er Game of Thrones guckt.

„Game of Thrones.“

„Und? Wie isses?“

„Du hast gesagt, dass das so brutal ist….“

„Ja, ich hab ja auch die Folge gesehen, wo der eine dem anderen den Penis abgeschnitten hat und dann vor ihm ein Schweinswürstchen gegessen hat.  Das abgeschnittene Ding hat er dessen Vater geschickt….“

„Ja, so brutal isses ja nicht!“

In dem Moment trennte jemand einem anderen das Gesicht vom Schädel und ich entschloß mich, das Zimmer zu verlassen.

Ihr wißt: Tyrion und so. Grüsse!

Nun kam es wie es kommen musste. Ich landete aus Gründen doch auf dem Game of Thrones-Dauersender und guckte zwei Folgen.

Nicht vergessen: Ich Tyrion. Ihr Grüße.

Also guckte ich was über Wechselgesichter und stellte mir hernach die Frage:

Wenn die also mit fremder Leute Gesichter in deren Körper rutschen kann, und dann fühlt, was die fühlen, woher weiß die dann, dass sie gar nicht sie ist.  Immerhin wissen das die anderen ja auch nicht, dass sie dann nicht sie ist…

Und die Unfruchtbare, die drei Drachen beherrschte und einen an vergammelte Tote verlor….

Wie gesagt: Tyrion. Getroffen. Lässt grüßen!

„Grüß ma zurück!“