42:56

Am Mittwoch musste ich „nach’n Aaazt“, wie man bei uns sagt. Oder auch „nach’n Dokta“.

Am Abend zuvor war Vor-Elternabend in der neuen Schule von Minimi. Privatschule ihres Zeichens. Und da war so der Privatparktplatz vor dem Privatparkplatz der Anwohner der Strasse mit der Privatschule, also alles ganz privat. Ja und deswegen war die Teerdecke jetzt nicht so wenig huckelig wie auf einer nicht privaten Straße und zack, da bin ich mit meinen 3cm -Schuherhöhung erstmal akkerat umgeknickt.

Aber ma sowas von akkerat….Ich also Doktor. Und weil nix geschwollen war (Anmerkung der Nicht-Fachfrau: Dann ist auch nix gebrochen, weil wenn was gebrochen ist, sieht nicht nur die Stelle dick aus, sondern auch das direkt unter der Haut wirkt anders.), also weil nix geschwollen war und trotzdem schmerzhaft, aber fragt nicht wie, bekam ich eine Einweisung ins Krankenhaus.

Wir haben hier eins. Der Serie Asklepios. Ein Einweisungsschein, weil die Doktorsche wollte, das das geröngt wird.

Also nix mit meiner Annahme: Ich gehe nachen Doktor, kriege einen stützenden Salbenverband und bin ein paar Tage zuhause mit Fuß hoch.

Also ab in die Ameos. Und mit dem Einweisungsschein musste ich in die Notaufnahme.

Aha.

Es sollte ja nur geröngt werden.

Also an der Tür der Notaufnahme geklingelt.

Unterlagen am Tresen abgegeben, neben mir eine Frau im Rollstuhl und erzählte mir gleich, dass sie zwar hier bleiben müsse, aber nichts zu essen bekomme, immer nur einen „leeren Teller“, wegen dem Pilz, den sie sich vor zwei Jahren hier eingefangen habe…..

Gute Aussichten.

Letztendlich sitze ich im warte Bereich, drei Frauen vor mir und dann quatsche ich mit denen, um zu erfahren, wann ich damit rechnen kann, an die Reihe zu kommen.

„Und? Wie lange warten Sie schon hier?“

Und so erfuhr ich, das ich so mit eineinhalb/zwei Stunden Wartezeit würde rechnen müssen. Und es passte.

Rein und gleich in den Raum mit der seltsamen Stopuhr mit den roten großen Zahlen an der Wand.

Und dann musste ich es wissen, immerhin hatten die Kinder schon gefragt.

„Wofür ist denn das Ding mit den roten Nullen?“ Die kleine quirlige Schwester erklärte mir, das es eingeschaltet würde, wenn wieder belebt werde.

„Okay. Und wie lang wird so wiederbelebt? Immerhin stirbt ja das Hirn…“

„Das kommt auf den Arzt an…“

Frau Doktor mit Aussehen von anderswo kam, drückte auf meinem Fuß rum, wollte wissen, wie das passiert sei.

„Meine Tochter hatte an der Schule Vor-Elternabend. Auf dem Parkplatz bin ich umgeknickt.“

Und zack, war ich ein BG-Unfall, was sich dann beim Röntgen -Team rausstellte. Da ich der Ärztin schon beantwortet hatte, das es nicht auf dem Weg zur Arbeit passiert sei, sondern auf dem Weg zur neuen Schule meiner Tochter……Ich weinte fast, als ich es der Frau vom Röntgen-Team noch mal erklären musste.

Ich wurde geröngt, die Röntgenteam-Frau hat scheinbar alles in Ordnung gebracht und wurde in den Wartebereich zurück geschickt.

Schnell ging es jetzt.Um 11.10 drangekommen und um 11.40 schon zur Besprechung der Röntgenbilder. Und ich landete wieder in dem Zimmer mit den vier großen Nullen.

Die kleine wendige Schwester wurschtelte irgendwas, als die Ärztin in der Tür erschien und erklärte, der Raum mit den großen roten Zahlen müsse um 12.15 frei sein. Ein Patient komme, Poly-Trauma, auch im Bauchraum. Und ich guckte auf die Uhr und fragte mich, warum der so lange unterwegs sei, während sie weitersprach und sagte, es handele sich um einen Verkehrsunfall.

Sie ging, die Ärztin, die aus mir einen BG-Fall gemacht hatte.

„Da muss ich jetzt hier raus.“ sagte ich.

Ja, musste ich und die kleine Schwester suchte einen Raum und verwies auf einen halb privaten Raum.

„Neee, ich gehe in den Wartebereich.“

Und da hatte ich dann wieder Zeit. Ich fand den Kaffee-Automaten. Und freute mich auf den Snack -Automaten bis ich über dem Geldeinwurf das Schild „Defekt“ fand und ging rauchen und wartete.

Kurz nach halb zwei war sie wieder da, die kleine Sonne .

„Jetzt aber, Frau H.!“ Und ich sagte: „Ja.“ und humpelte mit meinem Stock hinterher. In der Zwischenzeit hatte ich erfahren, dass zwei Frauen auf ein Blutbild warteten und eine darauf, dass sie im Krankenhaus aufgenommen werde.

Wir waren uns einig. Da gab es doch noch bis vor kurzem so zwei Büros hinter dem Pförtner….

Aber die gab es halt, jetzt muss man damit in Goslar in die Notaufnahme.

Ich humpelte also in die Notaufnahme und die Tür zu dem Raum mit der roten Zahl stand auf.

42:56 stand in riesigen, roten Zahlen dort.

Ich guckte nach links und sah für einen kurzen Augenblick einen Menschen, noch in dem orangen Ding aus dem Krankenwagen, mit irgendwas grünem über seinem Körper, der Kopf war zur Seite gefallen, das was Gesicht war, war zur Tür gewandt und das ganze sichtbare Gesicht war blutunterlaufen. Keine Maschine. Nichts. Auch das Ding, wo diese Spritzen eingespannt werden, stand arbeitslos rum und am Kopfende stand ein Mann, der auf einem Klemmbrett Notizen machte.

„Das geht aber lange, das Wieder-Beleben.“ sagte ich zu der kleinen Schwester. Und sie erklärte, nein, das wäre nicht so, das wäre nicht nötig gewesen, das Wiederbeleben, sie wisse auch nicht, warum man die Uhr angeschaltet habe.

Sie ging und machte die Tür zu .

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Warum hatte das eine halbe Stunde gedauert, bis der hier war? Das ganze Gesicht blau.

Warum war ich mit meiner Prellung hier und die anderen zum Verbandswechsel und zur Aufnahme im Krankenhaus?

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Die Ärztin kam, kein Bruch, ein Salbenverband.

Ich habe der kleinen Schwester 20 Euro für die Kaffee-Kasse gegeben.

„Wir gehören hier nicht her. Ich mit meinem Fuß, die anderen mit Blutbild. Hier gehören die wichtigen Fälle her, aber ich nicht. Kaufen Sie sich einen guten Kaffee. Bleiben Sie gesund.“

Ich humpelte davon. Die Tür zum Zimmer mit der 42;56 war immer noch auf, eine Frau stand neben diesem Menschen, sie hatte eine Plastik-Kiste mitgenommen, die meinem Zimmer gegenüberstand, auf der irgendwas mit Achtung und Kühlung stand.

Ich bin nach Hause und habe mich geschämt. Weil ich mit meiner Prellung in einer Notaufnahme war.

Und dann habe ich Doro angerufen und sie hat mir erklärt, das der Kopf von jemandem, der tot ist, immer zu Seite fällt. Doro hat Rettungsdienst gemacht.

„Doro, wo haben die den denn hergeholt, das das so lange dauerte?“

„Der kam bestimmt aussem Harz. Aus Buntenbock oder so.“

„Warum haben die nicht den Hubschrauber gerufen?“

„Wenn der grad nicht frei ist….“

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Ich würde diese Zahl gern auf Schilder an jeder Straße in den Harz malen, damit die Motorradfahrer endlich vorsichtig fahren. Und ich wünschte, wir hätten einen eigenen Rettungshubschrauber. Wünschen darf ich alles.

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Elke ist tot.

Elke ist gestern eingeschläfert worden. Und es gab schon viele Beileidsbekundungen bei FB, obwohl der obige Satz nur eine Mitteilung an den Teil der Familie ist, der mit mir oder anderen nicht mehr spricht. Oder auch mit beiden.

Elke ist 19, 5 Jahre alt geworden und war am Ende sehr krank und auch wohl ein bisschen dement. Er war schon lange taub und konnte nur noch auf 15 cm Entfernung Bewegungen wahrnehmen. Im letzten Jahr waren wir sooft beim Tierarzt wie in seinem ganzen bisherigen Leben nicht.

Mal blutete er langanhaltend aus der Nase, dann rasselte die Lunge in einer Lautstärke einem erwachsenen Asthmatiker gerecht geworden wäre. Das Herz war klapperig und er wollte immer bei Patty auf dem Hochbett schlafen und ließ sich in Ermangelung von irgendwas morgens immer wieder runter fallen. Vor einigen Monaten fand er den Weg nicht mehr hoch, also haben wir ihn in die richtige Richtung gedreht.

Vor drei Wochen ging die Kotzerei los. Er fraß wie ein Weltmeister und kotzte den halben Boden in C.s Zimmer voll. Schleim, Futter, vielleicht auch Blut.

Von dann an blieb er im Esszimmer auf dem Katzenfuttertisch liegen, schlief dort, fraß dort, fiel in den großen Wasserpott für die Viecher und stellte dann für einen Tag fest, das es Wasser gibt. Pinkelte in die Blumen und kackte in den Raum. Er fand die Klos nicht mehr. Montag stand er dann vor dem Geschirrschrank und wollte dort rein. Und fraß und kotzte.

Wir haben ihn die letzten Monate und Wochen dauernd im Blick gehabt. Damit er nicht fällt, damit er sich nicht im Haus verläuft und bloß nicht im Keller landet. Wenn er irgendwo abgetaucht war, ging das große Suchen an.

Nun, gestern sind wir also das letzte Mal zum Tierarzt gefahren. Ja, und so mutig ich immer bin, so schön sachlich, ich hab Rotz und Wasser geheult. Und Masken sind dabei keine Hilfe, sie nehmen die Menge an Gesichtswasser nicht auf, sondern tropfen. Das ist ekelig.

Die Entscheidung war richtig, auch für ihn richtig. Wir haben einen Tierarztkorb. Wenn ich den sonst aus dem Keller geholt habe, hat Elke Kraft und Geschwindigkeit entwickelt und war weg. Und auch, wenn man das Ding von oben aufmachen kann, Elke konnte das Reinsetzen in den Korb auch noch in hohem Alter verhindern. Gestern nicht. Er legte sich neben den Korb auf den Stuhl, der ihm zur Absteighilfe vom Katzenfuttertisch diente, und wartete.

Kein Gemecker im Auto. Keine Kotabsatz im Auto. Auch beim Tierarzt kein Ausbruchsversuch aus dem Korb. Wir haben ihn vorsichtig auf die Seite gelegt, ich habe ihn gestreichelt und konnte fühlen, wie es im Hals schnörrte und es war auf einmal wieder diese Vertrautheit da, die ganz viele Jahre weg war. Es war wie wenn für einen Moment alle Krankheit weg ist und diese alte Verbundenheit, wie wenn es das Jahr in Anderswo mit dem Ende im Tierheim nicht gegeben hätte, wie wenn es die ganzen Jahre danach nicht gegeben hätte, sondern so wie es davor war, das war wieder da. Aus einer Zeit also, in der ich abends mit ihm einen Spaziergang um den Wohnblock gemacht habe, ihn rufen konnte und wenn er zu weit weg war, ihn mir nur vorstellen musste und er war da.

Elke blieb ruhig liegen, ich streichelte ihn und dann ging alles sehr schnell.

Klar bin ich auf der einen Seite traurig, aber Trauer ist ein egoistisches Gefühl und ich hätte noch ganz viele Untersuchungen mit ihm machen lassen können, aber das hätte das Herz nicht heile gemacht, die Augen nicht mehr sehend, die Ohren nicht mehr hörend.

Er ist zwar nicht als älteste Katze der Welt in das Guiness-Buch Der Rekorde gekommen, aber 19,5 Jahre, das ist auch schon eine gute Zeit für eine Katze, die 13 Jahre eine rein-raus-Katze war. Aber er war der Beste Elke.