Wo fängt das an…

http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/56518/3334414

Das habe ich erstmal gar nicht so mitbekommen. Obwohl beide nur eine Strasse unter uns wohnen. Und ich meine, die beiden auch mal hier in der Strasse gesehen zu haben. Aber an die Gesichter kann ich mich nicht erinnern. Ich kam mit dem Auto und fand es einfach nur schön, endlich, endlich mal wieder ein Pärchen alter Leute zu sehen, die offensichtlich einfach nur spazieren gehen.

Nun rief mich am Donnerstag kurz vor der Nachtschicht K. an.

„Schatzi, Mama muss in die Nachtschicht. Fasse dich kurz! ich bin auf dem Weg.“ Und ich hatte es richtig, richtig, noch mehr eilig. So eilig, das man schneller als mit Lichtgeschwindigkeit fahren müsste, um quasi vor sich selbst in der Firma zu sein.

Er erzählte mir, dass sie, seine Freundin also, er und noch ein paar, die Oma der Freundin seiner Freundin suchen würden, eben jene Frau, die aus dem Haus in der Strasse unter uns verschwunden ist. Und sie hätten jetzt ganz Sudmerberg durchkämmt und ich wisse gar nicht, wieviele Zäune und sowas es gäbe, aber sie hätten keine Spur.

„Ruf den gewordenen Vater an und Deinen Bruder M.. Die sind dahinten viel zusammen unterwegs und kennen jeden Grashalm persönlich.“ Sie arbeiten auch beide nicht und sind viel zu Fuß unterwegs.

Nein, das wollte er nicht. Drei von denen ihrer Gruppe seien dort groß geworden, die würden sich eins A auskennen.

Aha. Waren sie ihm also wieder peinlich. „Wenn ihr sucht, dann sing alte Kinderlieder.“ Er lachte.

„Meine Güte, K.! Bei Demenzkranken funktioniert das Langzeitgedächtnis eher als das Kurze und an Kinderlieder, alte Kinderlieder wird sie sich erinnern. Die haben früher gesungen, mangels Handy.“

Er lacht weiter.

„Meine Güte, K! Das limbische System übernimmt bei denen das Regelment. Und damit eher die Instinkte.“ Er lacht wieder.

Man, ist das gemein. Als Geli im Sterben lag, da erkannte sie zwar ihre Tochter nicht mehr und die war ihr das Wichtigste, aber am Ende erkannte sie immer noch ihre Mama. Sonst niemanden. Nicht ihre Schwester, nicht die eigene Tochter, nicht irgendwen. Aber Mama.

Bei einer 77jährigen die Mama zu holen, das ist doch schon schwierig. Aber Mama-Gefühle zu wecken mit einem Geruch, mit dem Klang des eigenen Namens, mit einem Lied, das geht auch bei Erwachsenen, warum also nicht bei Dementen?

Ich schrieb ihm vor der Arbeit noch eine SMS, sie sollten in Gestrüpp und ähnlichem gucken, weil solche Menschen sich dorthin verkriechen.

Er schrieb zurück, warum ich eine sms  benutze? Das sei ja wie 2008.

Arschloch.

Ich habe mich geärgert.

Am nächsten Morgen meinte C., er sei sich nicht sicher, aber er meinte K. vor der Tür des Hauses gehört zu haben.

Der war da, das konnte ich an den Zetteln, mit denen man im allgemeinen entlaufene Katzen sucht, die an den Laternen der Umgebung mit gutem Panzerklebeband festgemacht sind, erkennen.

Ich also K. angerufen. Ich wollte von ihm wissen, was der in Oker gefundene Ehemann gesagt habe.

Und sie lamentieren wieder, das er dement ist und man mit den Angaben nichts anfangen könne.

„Ist mir egal, wörtlich bitte.“

„Sie sind spazieren gegangen und da war eine Bank, auf der haben sie gesessen. Und dann mussten sie durch einen Zaun und sie ist gefallen. Und da war ein Weg mit Steinen.“

Gut. Danke.

Ich den jungen Vater angerufen. Ihm erklärt, das ich ein Rätsel für ihn habe und ihm genau das gesagt, was mir die Freundin von K. gesagt hat.Er wollte wissen, worum es ging und konnte mir sagen, dass der Mann am Bahnhof Oker aufgefunden worden war und zwar am nächsten Tag.

M. habe ich das Rätsel auch erzählt und den Hintergrund.

Dann habe ich noch mal nachgefragt, wo die Polizeihunde die Spur verloren haben, aber das war nur „Berg Sudmerberg“. Und das ist ne richtige Menge Fläche. Und nebenbei habe ich noch erfahren, dass die beiden Eheleute erst seit April hier wohnen sollen.

Heute sind der junge Vater und ich los, denn irgendwie muss der Mann ja nach Oker gekommen sein.

Wir haben einen der Schleichwege genommen. Blöd ist, das es mittlerweile gut geregnet hat und die Vegetation explodiert ist.  Wir haben nur einen Teil des Weges abgesucht. Und sind auch nicht fündig geworden.

Aber die Strecke lief dauernd am Bahndamm lang. Was, wenn das der Weg mit Steinen ist? Nach 23 Uhr fährt fast kein Zug mehr, außer dem Eisenzug.

Wenn so etwas passiert, merkt man erst, wie groß die Welt doch wirklich ist. Da kann sich ein Mensch einfach in Luft auflösen. Einfach weg. Und alles, was eben noch so eng, klein, erdrückend vertraut ist, wird unübersichtlich, riesig und macht Angst.

Nebenbei gemerkt sollte ich mehr über Demenz lernen. Ich finde es so unheimlich, das demente Menschen, egal, wie brokelig sie sind, in einer Nacht 40 km laufen sollen. Und das sie tatsächlich auf allen Vieren ins Dickicht kriechen, um sich zu verstecken.

 

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