Grand Mal ist ein Arschloch oder: Scheiß-Montag

So wie die Woche beginnt, endet sie gern. Na wollen wir doch mal ganz doll hoffen, dass nicht.

Die Mutter der Mädels hatte sich Sonntagmittag gemeldet und wollte nun endlich doch mal mit zum Ohrenarzt und gern doch mit ihrer Tochter Geburtstag feiern. Das hat mich dann doch geärgert, hatten wir doch aus lauter Verzweiflung selbst geplant und sie warf einfach alles über den Haufen.

Montag begann nicht schön. Morgens musste ich Dauerstreit zwischen drei Mädels schlichten, weil nun mal nur eine Geburtstag hat und dann auch Geschenke bekommt.

D. hatte mal wieder verschlafen, also habe ich ihn in die Schule nach Bad Harzburg gefahren.Als ich zurück war, stellten wir fest, dass wir zwar das geliehene Auto an die Schwiegermutter zurück gegeben hatten, aber verplant hatten, unsere Termine an ein Auto anzupassen.

C. musste nach Wolfenbüttel, um die Unterlagen für das neue Auto abzugeben und ich hätte mit der jungen Mutter und den Kindern zum Ohrenarzt gemusst. Maaaaaaaaaaaan. Was jetzt? Da die beiden Mädels seit ihrer Geburt dort hin gemußt hätten, macht die eine Woche auch nichts mehr. Also der jungen Mutter abgesagt, einen neuen Arzttermin besorgt und C. brachte Mini in die Kita, während die beiden Mädels bei mir blieben.

Um zehn ruft es an. Der Kindergarten. Mini geht es nicht gut, sie möchte nach Hause. Supi. Kein Auto. Also unseren Tagesvater angerufen und gebeten, ob er das Kind abholen könne. Hat er gemacht. Mini hatte Fieber und ich meldete sie gleich für den nächsten Tag in der Kita krank. Weiter ging es. Ein fieberndes Kind, die Nunu-Decke im Auto bei Papa in Wolfenbüttel. Die Nunu-Decke ist wichtig. Die war mal ganz kuschelig, rosa mit weiß meliertes Garn und Mini hat sie zur Geburt bekommen. Die habe ich ihr gestrickt. Immer, wenn ich krank bin, bringt mir Mini die Decke, damit es mir wieder besser geht. Und ich kann sagen: Die macht Kopfweh erträglicher, aber ganz doll.

Papa kam mit der Nunu-Decke und Mini konnte auf dem kleinen roten Sofa im Wintergarten schlafen. Die Mädel gingen in ihre Betten, denn immerhin sollte Mama um drei kommen und sie abholen.

Mama schrieb mir, ob ich wenigstens eine Fahr übernehmen könnte, sie hätte nur Geld für eine Busfahr. Zu Fuß ist es eine halbe Stunde. Ich habe nicht geantwortet.

Halb drei habe ich die Mädels geweckt und angezogen. Wer nicht kam, war Mama. zwanzig nach drei war ich aboslut sauer. Um halb vier kam dann eine Nachricht, dass sie gleich mit einer Freundin mit Auto vorbei käme. Um vier war es dann soweit. Sie kam. Und ich bestand darauf, dass die Kinder wie vereinbart um fünf wieder da sind. Und als sie um fünf kam, war ich immer noch sauer. Die ganze verscheissene Woche hatten die Kiddies und ich darauf gewartet, irgendwas von ihr zu hören. Wie „Hey, ich möchte meine Kinder sehen.“ . Und was kam? Nix. Nur Müll. Und dann plötzlich: Doch, jetzt, morgen. Und dann auch noch zu spät.

Dann waren wir dran. Unser Omma war da. Ich habe den Abendbrottisch gedeckt und Mini wollte dauernd auf meinen Schoß.Aber ich wollte noch fertig werden….Und dann kam er. Der Grand Mal.Das Kind kotzte, pinkelte sich ein, krampfte am ganzen Körpter und die Lippen waren blau, die blöde stabile Seitenlage wollte mir nicht einfallen und C. holte die Notfallmedizin. Eigentlich soll man die erst nach einer halben Stunde geben, wenn der Krampf dann noch läuft. Und solche Dinger können bis zu vierzig Minuten dauern…Sie kotzte.

„Gib ihr die Medizin!“

„Sie kotzt sie aus!“

„Die muss nur auf die Schleimhaut!“

Endet der Krampf? „Warte!“

Endet der Krampf? Die Lippen sind blau, das Kind weit weg, ein Bein gesteckt, der Blick starr..

„Gib ihr die Medizin!“

Einfach in den Mundwinkel. Und es dauert nicht lange, und die Lippen bekommen normale Farbe.

Es geht weg, es geht weg! Nein,nicht so schnell. Sie ist immer noch nicht ansprechbar Irgendwann öffnen sich die Hände und das ausgestreckte Bein wird angewinkelt Sie schmatzt und rollt mit den Augen.

„Sie ist wieder da!“ meint Omma

„Nein, ist sie nicht.“

„Doch.“

„Nein, Mama, da ist sie nicht.“

Wir sprechen sie an, setzten sie vorsichtig hin-sie kann nicht reden! Sie öffnet den Mund und kriegt kein Wort raus. Dann heult sie los. Sie schreit. Laut. Gut so.

Wir wollen die Kotze aus den Haaren waschen und das Pippi von den Beinen und bringen sie hoch ins Bad. Sie versucht zu reden. Nix. Nur Laute. Fast vierzig Fieber hat sie, also ein lauwarmes Bad.Keine gute Idee, sie zittert und jammert. Raus da, bevor es den Kreislauf zusammen klappt. Fieberzäpfchen, Nunu-Decke, Schlafzeug und in Mamas Arm einschlafen.

Omma ist dann später gegangen und wenn diese Woche so weiter geht, dann gehe auch ich. Mal ehrlich.

Liebe Esmeralda seine Mutter,

ja, ich weiß, daß unsere Kinder ein Herz und eine Seele sind. Und mir ist auch klar, das der Grand Mal, den Deine Tochter da miterlebt hat, eine Katastrophe für sie ist, weil sie nach dem Abtransport von Mini immer wieder wissen wollte, was denn mit ihr sei.
Ja, und ich weiß auch, das sie in der ersten Nacht nicht durchgeschlafen hat….
Aber….unsere Tagesmutter, als Deine, meine und die der Kinder, hat mich erst gefragt, ob sie mit Dir offen reden kann. Klar kann sie. Was soll sie denn sagen? Mini fährt gern Krankenwagen? Liebt das Krankenhaus-Essen? Nee.

Und dann schlägst Du als ausgebildetes Fachpersonal für Mini einen Integrationskindergarten vor.
Hier noch mal zur Auffrischung des Erlernten:

1. Epilepsie ist NICHT ansteckend.
2. Ein Integrationskinderngarten macht, wie unser Omma dazu sagt, auch nicht, dass es weg geht.
3. Mini ist weder geistig behindert, noch sozial eingeschränkt, noch verhaltensauffällig. Was soll der Integrationskindergarten da richten?
4. Bei Kindern ist die Wahrscheinlichkeit hoch, das sich das Ganze verwächst. Verschwindet vor der Pubertät, mit der Pubertät, sogar, wenn es
    sich nicht nur um Absencen handelt, sondern um die richtige, böse Epilepsie. Was soll sie also dann dort in einem Kindergarten??

Zumal Du nicht mal weißt, das nach diesem Grand Mal ihre Hirnströme völlig unauffällig waren. So, wie von einem Kind, das niemals sowas hatte….Es mag sein, das Du aus so einer Katastrophe, so so etwas, was wir wirklich niemals hoffen wollen, eine ganz große Nummer machen würdest. Mit Hypotherapie, Integrationskindergarten auf Walldorfscher Spezialförderung, Klangschalen-Therapie und was es noch alles gibt….

Wir sehen das anders. Ja, Mini hat das. Es ist Minis Päckchen. Ob es sich verwächst oder nicht, das ist dabei zweitrangig. Sie muss in dieser Gesellschaft leben, in die sie hineingeboren worden ist. Sie wird also mit ihrem Päckchen lernen  müssen, ganz  normale Dinge zu tun wie Schule und Ausbildung.
Und da hilft auch nicht, so in irgendwelche Watte zu packen durch Integrationkrams, mit nem Pädagogen an der Seite, der an der Mathematik der sechsten Klasse scheitert, weil er sie nicht mehr versteht. Denn spätestens, wenn sie erwachsen ist, ist damit Schluß,  mit der Heilwatte.
Da wird nur noch sortiert. Kannnste? Gut. Kannste nicht? Pech. Und deshalb wird sie so normal wie möglich leben. Und ich leiste mehr Erziehungsarbeit bei mir als bei ihr. „Gell, C? In den Sandkasten im Garten darf Mini alleine, oder?“ Und von diesen Sandkastensituationen gibt es ganz viele!

In diesem Sinne,
Frau Safa

Grand mal ist ein Arschloch!

Da waren wir endlich auf der Zielgerade! Petnidan und Orifil in Kombination und keine einzige Absence mehr. Mini war altergerecht zickig.
Und ich wollte schon eine Lobeshymnen-Mail an den behandelnden Arzt schreiben….

Und dann holt mich C. von der Arbeit ab . Mit nem Elektro-Auto. Und wir fahren in Richtung Heimat und ich bewundere abgebrochene Bäume und Zaunpfähle; Transporter überholen uns  und wir diskutieren über das Elektro -Auto, weil es kann nicht schneller als 110.

„Du willst doch jetzt nicht zum Überholen ansetzen?“ Wir nähern uns einem LKW.
„Doch!“ C. will.
„Schaffst Du den überhaupt?“
„Den schon. Das nicht!“ Er nickt in Richtung Seitenscheibe, ein Transporter überholt uns.
C.s Handy klingelt, ich soll dran gehen, es ist die Tagesmutter.
Wie ein Idiot sage ich freundlich jaja, als so Wörter wie „Notarzt“, „gefallen“, „nicht ansprechbar“ kommen. Ich weiß nicht, ob der Empfang mit C.s Handy wirklich so schlecht ist, jedenfalls sage ich ihr, ich rufe mit meinem zurück. Als ich zurück rufe, erfahre ich, das Mini gefallen ist, liegt, nicht ansprechbar ist und man schon den Notarzt verständigt habe.
So, wie sie es schildert, denke ich an eine Hirnblutung, an einen  Schädelbasisbruch. Ich lasse mir das Kind geben, spreche sie an und sie brummt mehr a und o, als das es wirklich a und o ist.
Wir legen auf.
Ich erkläre es C. und versuche, unser Omma zu erreichen, damit sich jemand um die Kinder zuhause kümmert.
Omma ist nicht da. Also rufe ich den großen Bruder K. an, erkläre ihm die Siutation und er solle Omma anrufen. C. frage ich, ob er nicht schneller fahren könne…er sagt gar nichts mehr und stellt mir auf meine dauernden Fragen, wie lange es noch dauere, das Navi ein, das auch immer die Restzeit der Fahrt anzeigt. Er zeigt mir zwar, wo das steht, aber ich vergesse das im nächsten Moment schon wieder, denn immer , wenn ich drauf gucke, kann ich diese Zeit einfach nicht finden.
Ich rufe noch mal an und grade ist der Notarzt da. Der Tagesvater gibt mir den, der mir nur sagt, er sei grad gekommen, mache sich ein Bild und melde sich gleich noch mal.
Wir fahren auf die Landstrasse und C. holt mit wahnwitzigen Überholmanövern auf. Als meine Angst größer wird, sage ich ihm, er solle uns nicht tot fahren. Er ist biestig. Entweder wollten wir da schnell hin oder eben nicht, ich müsse mich entscheiden.
K. schreibt mir über Whatś app, das sein großer Bruder ein blödes Kind sei, er Ommas Nummer nicht habe und nun den gewordenen Vater zu den Geschwistern geschickt habe.
Als wir nach Goslar reinkommen, kommt uns ein Krankenwagen entgegen und biegt nach Vienenburg ab.
C. und ich sind uns einig, das da unser Kind drin ist.
„Mach mal Lichthupe!“ sage ich.
„Wo fahren die denn hin?“ will C. wissen.
„Mach irgendwas,wir müssen da hin?“
„Was soll  ich denn machen????“
Ich rufe bei der Tagesmutter an. Ich frage die Tagesmutter, wo die das Kind hin fahren.
Das wisse man noch nicht.
Panik hoch zehn! Wie? Das wisse man noch nicht??
Habe ich doch da grade einen Krankenwagen gesehen, der einfach ohne uns abgebogen ist. Eine Information, die ich offensichtlich vergesse zu erwähnen.
„Wo bringen die denn mein Kind hin???“
„Die stehen noch hier!“
Ich bin erleichtert. „Wir sind gleich da. Noch eine Ampel!“
Als wir ankommen, höre ich das Kind schreien! Aus dem Krankenwagen. Rumbrüllen, Heulen, laut und kräftig. Ich bin erleichtert! Hirnblutugen und Schädelbasisbrüche brüllen nicht! Min hat gekotzt und kotzt noch einmal während der Fahrt. Er danach sieht sie wieder völlig normal aus.

Ich fahre mit. Und bleibe auch im Krankenhaus. Wir sind völlig unvorbereitet. Ich verbringe die Nacht auf einem Stuhl sitzend in meinen Arbeitsklamotten neben Minis Bett. Ich kann mich nicht mit den Strassenklamotten da in so ein Klappbett legen. Da sind noch zwei andere Mütter und Kinder….Ich schnarche, wenn ich richtig tief schlafe. Also darf ich nicht tief schlafen.
Eine Kollegin, die selbst von Epilepsie betroffen ist, nimmt sich die Zeit und  telefoniert abends mit mir.
Sie erklärt mir ganz viel, Zusammenhänge, Gefühle und was man wirklich machen kann, wenn sowas ist. Ich habe wieder Boden unter den Füssen. Leben ist nicht rum. Es geht weiter.

Am Morgen kommt C., hat Ladekabel und die Hälfte der frischen Klamotten vergessen. Ich fahre zur Arbeit und weil das Handy leer ist, ohne Navi. Ich kenne jetzt halb Braunschweig.
Oh, da hinten ist die Brauerei, neben der meine Firma ist. Mist,  ich hätte hier links ab gemusst!
Oh, der Hauptbahnhof….der ist nicht weit von der Arbeit! Mist, hätte ich die rechte Spur nehmen müssen….
Und dann kein Parkplatz!
Meine Kollegen laden mir mein Handy auf, sonst wäre ich mittags nicht zurück gekommen in die Klinik.
Sie versorgen mich mit Informationen und Keksen und Kaffee.

Ich schaffe das bis Mittag, dann breche ich ab. Zu Müde, morgens kein Kaffee, den ganzen Tag von irgendwelchen Keksen ernährt. Nicht mal Mini hat in der Klinik abends noch was zu Essen bekommen; sie hat sich von einer Tüte Chips ernährt und meinem Mineralwasser, das ich mit zur Arbeit hatte. Chips hatte der Papa mit ein paar frischen Sachen mitgebracht.

Wir haben sie gegen ärztlichen Rat mit nach Hause genommen. Es war, wie meine Kollegin gesagt hatte. Wenn das rum ist, ist das rum. Man ist nur unendlich müde. Sie wäre dort eh nur weiter wie bei uns medikamentiert worden und sollte überwacht werden.
WIR hier sind die besten Überwacher! Wir müssen hier eher aufpassen, das wir ihr die Freiheiten einer vierjährigen lassen!

Sie hatte nicht eine Absence, sondern einen generalisierten Anfall, wie das in Arztdeutsch heißt. Einen Grand mal. Und man kann nix machen, nur warten, bis das Arschloch aufhört!