Blick zurück….

…oder was es mit der Erbsünde auf sich hat. Keine Ahnung, wieso, warum und warum gerade jetzt….Die Zeit war schlecht, aber lehrreich. Alles, was passiert hat seinen Sinn und auch das, was man als schlecht erlebt, bringt einen weiter. Nutzt nur nichts, wenn es gerade passiert.

Das zu meiner Umschulung gehörige Praktikum war schwierig. Und ich bin oft verzweifelt. Aber es hat mich gezwungen, Dinge anders zu sehen. Ich gehe nun wirklich aufrechter und bin das schwarze Schaf meiner Familie, weil ich nicht mehr mit mache. Jede Familie hat einen Ausreißer, sagte Julia. Und dieser Ausreißer bin nun ich.

Ich habe immer mal in der Familienhistorie geforscht, merkte aber schnell, dass ich das Bild, das meine Mutter hatte, besser nicht anfassen sollte. Sie ist nicht böse, egal was war. Aber es macht ihr bedrohlich Angst, so bedrohlich, dass Tatsachen in diesem Leben nicht richtig Platz finden. Also habe ich den Plan zu gucken, aufgeschoben. Wenn die Kinder mal groß sind, meine Mutter nicht mehr ist….DANN, dann mache ich das.

Und es klopfte an. Klopfte erst leise, dann irgendwann lauter und ich wurde älter und mir war klar, meine Zeit läuft. Alle lachen, wenn ich sage, dass ich den Sonnenuntergang am Horizont schon sehen kann. Tante J., mit der ich gestern das erste Mal nach Jahrzehnten sprach, verglich das Leben mit einem Maßband, kein Meter lang, nur achtzig Zentimeter und auch bei mir bleiben bei ihrem Zentimetermaß nicht mehr viele über.

Irgendwann bollerte es an die Tür und ich musste gehen und sie aufmachen. Meine Mutter mit ihrem Krebs, die Pflege in die Hände meiner erwachsenen Kinder und eines Pflegedienstes. Ich brauche die Freiheit ohne schlechtes Gewissen zu gucken. Wer waren die alle? Was ist nach heute rüber geschwappt?

Vor vielen Jahren sagte meine Hebamme, die Traumen des Krieges hielten noch an. Habe ich nicht verstanden und mir deshalb gemerkt. Und je älter ich wurde, desto klarer wurde das. In der Kirche mag man es wohl Erbschuld nennen. Die, die sich über Generationen fort setzt. Und die will ich mir nun endlich angucken.

Nicht einfach. Erleichternd ist, fest zu stellen, dass das Gut in Schlesien ein Bauernhof war. Das war schon mal erleichternd. Und dann habe ich raus gefunden, wo der Großvater abgeblieben ist. Als ich das meiner Mutter sagte, sagte sie nur: „Da fahr ich nicht hin!“. Und mir war klar, das rüttelt am Bild. Ich habe raus gefunden, dass die erste Frau dieses Mannes nicht ertränkt worden war, sondern nach einer Totgeburt den Freitot gewählt hat. Und das war mal richtig erleichternd.

Und weil sich immer das eine zum anderen fügt, habe ich angefangen, auch auf Vaters Seite zu suchen.

Nicht einfach.

Das ist nicht einfach. Nach hinten gucken, nach vorne leben. Das nach hinten gucken geht nicht am Stück. Man muss das erstmal verdauen.

Aber einer muss es sich angucken. Immer.

6 Gedanken zu “Blick zurück….

  1. Ich glaube, dass jede Familie Geheimnisse hat. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich sie alle wissen möchte. Wenn man einmal anfängt, wer weiß…..
    Du klingst so viel besser! Und überhaupt freue ich mich, wieder von Dir zu lesen.
    Liebe Grüße, B.

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  2. Es ist schon wichtig, zumindest grob zu wissen, wo man herkommt, um herauszufinden, wo man hin möchte. Es geht auch ohne, dauert dann aber mitunter länger. Ich fand Antworten im näheren, für mich zunächst aus der Pflicht heraus geführten Kontakt mit meinen gebrechlichen Eltern.

    Schön, von dir zu lesen!
    Gruß Reiner

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    • Hallo Reiner, ich muss tiefer gehen. Es wiederholt sich so sehr viel und vom näheren Kontakt gibt es nur so geschönte bis gar keine Antworten. Ich muss es verstehen, diese stummen Nachrichten, die sich über Generationen fortsetzen bis sie mit anderen Erfahrungen überschrieben werde. Auch schön, von Dir zu lesen. Gruß, S.

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