Gar nicht so einfach II

Für unsere Familie steht der große Esstisch. Jeder hat dort seinen Platz und wenn der oder die betreffende nicht da ist, dann bleibt der Stuhl leer.  Wenn Besuch kommt, werden Stühle an den Tisch gestellt, Stühle, die sonst im Keller stehen und Omma hat einen Platz zwischen Groß E. und Klein E. auf einem guten Stuhl, wobei Groß E. und Klein E. , auch E. und e., sonst neben einander sitzen.

Wenn ein Kind geboren ist, ändert sich die Sitzordnung an dem Tisch zunächst nicht. Aber das Familiengefüge bricht auf. Jeder sucht an dem imaginären Familientisch einen neuen Platz. Deutlicher wird es, wenn zum Beispiel ein neuer Partner kommt. Es  dauert eine ganze Weile, bis alle wieder feste Plätze haben. Bis dahin sitzt der eine mal neben dem, dann wieder auf der anderen Seite des Tisches, dann mal am Kopfende…..aber irgendwann stehen die Plätze wieder fest und gut. Das dauert. DAS dauert richtig lange. Wenn ein Baby kommt, kann man davon ausgehen, dass es wenigstens ein Jahr dauert, bis das Gefüge wieder ist, was es war. Tragend, gewohnt, krisenbewältigend.

Und dann aufeinmal zieht ein kleiner Mensch bei Dir ein, der schon seine Vorerfahrungen hat, aber ganz vieles nicht in Worte fassen kann.  Und es ist nicht nur einer, sondern gleich zwei. Mit ihren Erfahrungen. An manchen Tage nennen sie mich Mama, an den Tagen nach den Besuchsregelungen bin ich Omi. Und Omi geht dann schon morgens an und endet erst nach dem Einschlafen. Sie stehen allein in einer völlig fremden Welt. Wir sind fremd. Das Haus ist fremd. Die Onkel und Tanten, mit denen sie jetzt leben müssen, sind fremd. Und Mama ist weg und Papa auch. Wobei Mama Papa im Moment verbietet, sie zu sehen, aber das wissen sie nicht.

Sie sind zu zweit hier in die Familie gekommen. Also eine Familie in die Familie. Anfangs haben sie tatsächlich in ihrer Sprache diskutiert. Nun dieskutieren sie mit uns.

Sie ecken an. Sie müssen den Nuckel zum Reden aus dem Mund nehmen, sie müssen Nase putzen, beim Essen am Tisch sitzen und Pudding gibt es erst, wenn wenigstens ein bischen vom Essen vorher gegessen worden ist. Egal, wie groß, laut und schrill das Nein des kleinen Menschen ist.

Wir haben an diesen freien Tagen in aller Eile für kleines Geld das obere Bad, auf das wir so stolz waren ( Ein zweites Badezimmer!) umgebaut und nun haben die beiden Mädel ein kleines Reich mit Tür. Und sie verstehen nicht, warum sie nicht auf den Betten springen dürfen, den Schrank nicht einfach ausräumen dürfen, ….alles ist einfach anders.

Und manchmal kommt die Mama. Aber nur, wenn der andere Opa sie fährt. Aber Letzteres wissen die kleinen Mädchen auch nicht.  Müssen sie auch nicht, finde ich.

Aber irgendwer erzählt ihnen bei den Besuchen wohl, das die Mama ja gar nicht mehr krank ist. Fräulein Galotti, die ältere der beiden, sagt das immer wieder und wartet darauf, zu Mama zurück zu können, die eigentlich im Moment nirgendwo wohnt. Mal hier, mal da schläft, und manchmal auch bei ihren Eltern. Und dann erklär mal einem kleinen Mädchen, dass es Krankheiten gibt, die man nicht sieht.  Die kein Fieber machen, keine sichtbare Narbe machen und keine Operation brauchen, aber doch da sind. Und das diese Krankheiten Zeit brauchen, um wieder gut zu werden…

Morgen fange ich an, in Teilzeit zu arbeiten. Meine Firma hat mich auf 25 Stunden pro Woche eingestellt und ich beginne mit Nacht. zwei Wochen arbeiten, die dritte Woche frei. Auch was Feines und ich habe meinen Fuß zu Vollzeit in der Tür. Wird gut tun, hier einfach nur mal raus zu sein.

Wie sagte C. heute? „Pflegekinder sind doch einfach. Wenn man das wirklich nicht schafft oder auch nicht mehr will, kann man sie einfach wieder abgeben.“

DAS machen wir nicht. Eigen Kinder kann man sich schließlich auch nicht aussuchen und muss sich mit denen  arrangieren. Wo kommen wir denn da hin?.