Darüber reden

„Sie sind eine Randgruppe.“, sagte mal eine Ärztin zu mir.

Eine Randgruppe also. Okay. Und ich lebte weiter mit den Kindern in der runter gekommenen Wohniung, die ich regelmässig renovierte und die genauso regelmässig neue Möbel bekam, die jemand anders nicht mehr brauchte und die ihren letzten Tag bei mir verbrachten. Einmal habe ich in einer Sofa-Ritze einen Ausweis gefunden.

Mal hatte ich ein Wohnzimmer, das eine als Beleuchtung eine Lichterkette hatte, deren Lichter ich in Sternen aus Ton-Karton und gelbem Laternenpapier versteckt hatte, zu einer Zeit als man sowas noch nicht kaufen konnte, und an der eine Efeu-Tute fröhlich entlang wuchs.

Ein 2er Sofa, das niemand mehr brauchte, sechs Sessel, manche drehbar, mit kleinen Sitzschalen aus den 70gern, aber kein Ohrensessel. Tja, und dann kam die Frau vom Tierschutz vorbei, guckte an die Decke des Wohnzimmers und sagte: „Das geht so nicht!“

Sie kontrollierte den Platz der roten Tierschutzkatze. Und eben, das geht so nicht. Das an der Decke geht so nicht, die Sessel gehen so nicht, der Hundeplatz, ein abgesägtes Bett mit Holzplatte und Decken, das geht so nicht.

Saubere Katzenklos, saubere Futterstellen, aber eine alte Einbauküche aus den 70gern , orange lackiert, ein Tisch , gelb lackiert mit schwarzen Katzenpfotenspuren, trockene Kräuter an der Stange an der Decke, teures Katzen und Hundefutter….das geht so nicht.

Sie entschied, das sei kein Ort für die rote Tierschutzkatze.

Ich sagte: “ Du packst Buddy ein und ich gehe zum Anwalt!“

Sie ließ ihn da und Buddy zog bis zu seinem Lebensende noch 2mal mit mir um.

Und ich lebte weiter, strickte Wintersocken, nähte Kostüme zu Karneval, buck, kochte, lernte das Herstellen von Eis und Schokolade, machte einen Heilpraktiker-Kurs und die Kinder wuchsen. Ich las Bücher, wusch Wäsche und putzte den Schutzbelag vom Fußboden, damit auch ja alles sauber ist und niemand was sagen kann….

Und dann kam der Moment, die letzte ging in den Kindergarten, und ich, mit meinen Aushilfsjob der Putzerei fragte mich: „Was nun?“

Zwanzig Jahre hatte ich nicht durchgeschlafen. Wenn es halb eins war, die Näherei rum, die Wandfliesen mit Acryl-Lack überzogen, da lohnte es sich nicht, schlafen zu gehen, denn das Baby kam um halb 2 und dann wieder um fünf-halb sechs. Zwischen 2 und fünf-halbsechs. Das war meine Zeit. Da schlief ich tief und fest und hörte nichts von dem Polizei-Einsatz in der Wohnung über mir. Und wenn in dieser Zeit die Welt untergegangen wäre…..aber ab halb sechs natürlich nicht mehr. Da war ich wach, da blieb ich wach, weil eh bald die anderen Kinder aufstehen würden.

Ich glaube, kaum jemand kann nachvollziehen, wie es ist, wenn das letzte Baby endlich durchschläft und man von 12 Uhr nachts bis 6 Uhr morgens schlafen kann.

Und dann war er also da, der Was-Nun-Zeitpunkt.

Dieser Zeitpunkt ist nun fasst 18 Jahre her. 18 Jahre. Raus aus der Randgruppe, rein in das bürgerliche Ambiente der Nachbarschaft. Raus aus dem Sozialbau und rein in die Doppelhaushälft….und immer noch Randgruppe.

2 Gedanken zu “Darüber reden

  1. So what…….ich möchte nicht wie viele andere sein…. und Randgruppe nennen manche diesen Ort nur, um auszugrenzen. Für mich befinden sie sich am Rand!

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    • Du hast vielleicht recht! Wenn man das ganze mal aus einer anderen Perspektive betrachtet, und ich lege mir derweil einige neue Perspektiven zu, und wenn man dazu noch den Satz „Was ich denk und tu, das trau ich auch dem andern zur!“. der definitiv stimmt, wenn Patner einem unvermittelt Betrug vorwerfen, dann hast du vollkommen Recht! Vollkommen!

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