Die Bücher sind gelesen

Und während des Lesens kam aha, oho, ach so.

„Erfolgsstrategien für den versteckten Arbeitsmarkt“ aus dem Haufe-Verlag ist durch und ich sitze über dem empfohlenen Maximal-Lebenslauf.

Maximal-Lebenslauf.

Ich gehe in die Küche und treffe C.

„Ich sitze vor dem Lebenslauf.“

„Das ist schwer, Bewerbungen…“ , sagt er.

„Ja. Beim Schreiben vom Lebenslauf stelle ich fest, ich hab ja gar nichts gemacht.“

„Doch, Du hast viel gemacht.“

„Ja, aber nix, was irgendwer braucht.“

„Na ganz so ist es ja nicht.“

Irgendwie schon. Ich bin ein verhasster Baby-Boomer. Und der Arbeitsmarkt scheint die Wahl zu haben zwischen

Generation-Z und Baby-Boomer.

Mir ist bis heute nicht klar, wie die Generationen gezählt werden. Und obwohl wir Fachkräfte-Mangel haben, gibt es für die „Alten“, laut Ärzten und Mode-Zeitschriften ist man mit Ü-50 ja noch nicht alt, also für die gibt es keine Arbeit.

Nunja….man muss ja auch zugestehen. Meine Generation hat das ja nicht so mit Kommpjuta. Wir sind mehr haptisch. Wegen dem Textmarker. Da drucken wir aus, bearbeiten und schmeißen weg. Und Dateien hochladen, das geht jetzt auch nicht irgendwie. Wört ist für uns ein heikles Thema, ebenso Äksel und Autluck. Wir sind nicht entwicklungsfähig. Früher sagte man, dass man sich junge Leute noch so hinbiegen kann, wie man sie braucht.

Statistiken sagen, dass junge Arbeitnehmer durchaus nach 2 oder drei Jahren den Betrieb wechseln, um sich weiter zu entwickeln, besser zu verdienen oder einfach bessere Arbeitsbedingungen zu haben.

Aber hab das mal im Lebenslauf! Das fehlen Endurance, Persistence, Sustainability und Kontinuität sowieso.

Du darfst im Bewerbungsgespräch, wenn Du nach dem Grund Deines Arbeitsplatzwechsel gefragt wirst, nicht einfach sagen: “ Es hat halt einfach nicht gepasst.“

Da kommt die Frage nach dem Warum. Meist von Recruitern, die zwanzig Jahre jünger sind. Warum hat es nicht gepasst? Soll ich dann eine philosphischen Vortrag halten über die zwischenmenschlichen Beziehungen, die durchaus abhängig sind von rudimentären Eigenschaften aus der Steinzeit?

Ich habe gelesen, dass Leute ab 59 keine Angebote mehr von der Agentur für Arbeit bekommen.

Das ist Altersdiskriminierung pur, finde ich, wenn das so ist. Für mich ändert sich nichts. Ich hab irgendwie nie Angebote von denen bekommen.

C kam und sagte:

„Glaub nicht alles, was in Büchern steht!“

Seit dem Ende meiner Ausbildung habe ich so ein Firmen-Hopping hinter mir.

In der ersten Firma bewachte ich nachmittags ein Nicht-Klingelndes Telefon. Ja, nur das, in der Regel. Und es gab die, deren Namen ich nicht aussprechen durfte. Waldemort. Und wenn sie meinte, ich hätte ihren Namen ausgesprochen, halfen auch die Aussagen der Kollegin, die erklärten, das ich den Namen gar nicht ausgesprochen hatte.

4 Monate habe ich das geschafft.

Dann nach vier Wochen krank in die nächste Firma. Ab an den Tresen, vor dem Bearbeiten die Emails ausdrucken, um sie zu bearbeiten und dann weg zu werfen. Am 23. Dezember von 08:00 bis 19:00 Uhr arbeiten – auf keinen Fall. Die Frau, die mir die schlecht mit mir umgegegangen ist, hat sich mal bei mir weinend entschuldigt. Ich war dennoch sprachlos. Und jetzt. nach knapp einem halben Jahr, bauen wir eine Freundschaft auf. Ich mag sie. Sie ist wundervoll. Eine Lady. Ich liebe die Gespräche mit ihr. Sie ist klug.

Aus diesem Job bin ich raus, als ich wohl die letzte auf der Liste war, die angerufen wurde, um die Stelle einer Reno, gefordert war einen Bürokauffrau, besetzen.

Und Anfangs …ja anfangs. Und jetzt sind wir hier am Ende. Das ist nicht mein Platz.

Also Bewerbungen schreiben. In meinem Alter. Mit meinem Bruch im Lebenslauf.

Ich brauche eine Idee. Dringend. Ich muss mich abheben, ein Einzelstellungsmerkmal. Also lese ich. Und lande am Ende bei zwei Büchern mit Initiativ-Bewerbungen. Eins von Haufe, ist noch in der Post, also noch nicht da. Und dem Haufe-Verlag, dem konservativen, dem vertraue ich schon, weil ich dort viele rechtliche Sachen gefunden habe, die für meine Ausbildung wichtig waren. Und ich brauchte die rechtssicher.

Okay. Nach dem Crash war erstmal wichtig, eine eigene Entscheidung zu treffen. Was will ich? Und dann habe ich entschieden. Auch das ist nicht mein Platz.

„Schreib Bewerbungen!“ C. forderte mich immer wieder auf und überprüfte, ob ich zumindest eine fertig hatte. Das war ein tagelanger Kampf und ich erwarte nichts, weil die nicht gut sind. Das ist.

Also gelesen und gelesen. Das erste Buch ist da, ich lese und finde die Aussagen logisch.

„Wer vom Arbeitsamt kommt, gehört zu Rudis Resterampe.“ Das hatte ich schon in der Umschulung gehört und las es nun wieder. Und wenn man bedenkt, dass es auf dem Wohnungsmarkt auch so ist, dass viele Wohnungen gar nicht im Netz, den Zeitungen und wo auch immer auftauchen, dann….dann…..Zumal mir jemand vom Arbeitsamt gesagt hat, das die guten Arbeitgeber nicht inserieren müssen. Da gehen die Leute nicht weg.

Also rumpele ich die Treppe rauf unter das Dach, C. sitzt vor dem Fernseher. Ich erzähle ihm von meinem neuen Plan, mir ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen…..

„Glaub nicht alles, was in Büchern steht.“

„Tu ich doch gar nicht!“ Ich erzähle ihm, wie inspirierend ich die Ideen in dem Buch finde, wie schwer ich die Fragen finde, mir meinen Traumjob genau vor zu stellen und ich doch einfach mal auf die klassische Papier-Bewerbung zurück greifen will….

„Ja, das hatte mich der Recruiter auch gefragt. Wie mein perfektes Büro sein muss. Ein Tisch, ein Stuhl und ein Rechner. Das hab ich geantwortet. Und als ich in der Firma war, da habe ich die Frage verstanden. Es war furchtbar….“

Wir schweigen kurz.

„Glaub nicht alles, was in Büchern steht.“ Und er erklärt mir, dass viele Fragen in Vorstellungsgesprächen nicht vorkommen, weil die schon in Büchern gestanden haben und ich soll auf das Erscheinungsdatum gucken, weil dann ist das auch wieder keine gute Idee.

„Ich glaub nicht alles, was in Büchern steht. Oder hälst Du mich für dumm?“

„Jaahaa…“

Ich zeige ihm den Mittelfinger und verlasse das Zimmer. „Fick Dich, Motherfucker!“

C. kam und sagte:

„Überleg Dir, wie der Typ aussehen muss, bei dem du arbeiten willst!“

„Hmmmm???“

„Ja, sonst landest Du wieder in einer Klitsche, wo Du nicht hinwillst.“

Wie soll der Typ – die Firma aussehen? Wie soll ich das in meinem Lebenslauf darstellen?

Ich wünsche mir eine Firma, in der es egal ist, was und wer ich vorher war. Ich dem ich nach dem hier und jetzt beurteilt werde. In der meine Erfahrungen respektiert und genutzt werden können.

Ich wünsche mir eine heile Büro-Ausstattung.

Ich wünsche mir einen Chef, der Beruf und Privat trennt. Ich wünsche mir einen Chef, dessen Anweisungen von den Weisungsberechtigten nicht umgeschmissen werden. Ich wünsche mir Klarheit.

Und wenn ein Chef und ein Mitarbeiter sich nahe stehen, so nahe , dass kein Blatt Papier dazwischen geht, dann wünsche ich mir Professionalität. Und ich will nichts, aber auch gar nichts über die Nähe wissen.

Ich wünsche mir eine Firma, die Kunden als Kunden sehen. In der es wichtig ist, den Kunden mit der ihm als Mensch gebührenden Würde zu behandeln. Die, die er als Mensch an sich verdient hat.

Ich wünsche mir, eine Firma zu finden, die mein Potential sieht und nutzt, und nicht jede Erfahrung als Manko abtut.

Darüber reden

„Sie sind eine Randgruppe.“, sagte mal eine Ärztin zu mir.

Eine Randgruppe also. Okay. Und ich lebte weiter mit den Kindern in der runter gekommenen Wohniung, die ich regelmässig renovierte und die genauso regelmässig neue Möbel bekam, die jemand anders nicht mehr brauchte und die ihren letzten Tag bei mir verbrachten. Einmal habe ich in einer Sofa-Ritze einen Ausweis gefunden.

Mal hatte ich ein Wohnzimmer, das eine als Beleuchtung eine Lichterkette hatte, deren Lichter ich in Sternen aus Ton-Karton und gelbem Laternenpapier versteckt hatte, zu einer Zeit als man sowas noch nicht kaufen konnte, und an der eine Efeu-Tute fröhlich entlang wuchs.

Ein 2er Sofa, das niemand mehr brauchte, sechs Sessel, manche drehbar, mit kleinen Sitzschalen aus den 70gern, aber kein Ohrensessel. Tja, und dann kam die Frau vom Tierschutz vorbei, guckte an die Decke des Wohnzimmers und sagte: „Das geht so nicht!“

Sie kontrollierte den Platz der roten Tierschutzkatze. Und eben, das geht so nicht. Das an der Decke geht so nicht, die Sessel gehen so nicht, der Hundeplatz, ein abgesägtes Bett mit Holzplatte und Decken, das geht so nicht.

Saubere Katzenklos, saubere Futterstellen, aber eine alte Einbauküche aus den 70gern , orange lackiert, ein Tisch , gelb lackiert mit schwarzen Katzenpfotenspuren, trockene Kräuter an der Stange an der Decke, teures Katzen und Hundefutter….das geht so nicht.

Sie entschied, das sei kein Ort für die rote Tierschutzkatze.

Ich sagte: “ Du packst Buddy ein und ich gehe zum Anwalt!“

Sie ließ ihn da und Buddy zog bis zu seinem Lebensende noch 2mal mit mir um.

Und ich lebte weiter, strickte Wintersocken, nähte Kostüme zu Karneval, buck, kochte, lernte das Herstellen von Eis und Schokolade, machte einen Heilpraktiker-Kurs und die Kinder wuchsen. Ich las Bücher, wusch Wäsche und putzte den Schutzbelag vom Fußboden, damit auch ja alles sauber ist und niemand was sagen kann….

Und dann kam der Moment, die letzte ging in den Kindergarten, und ich, mit meinen Aushilfsjob der Putzerei fragte mich: „Was nun?“

Zwanzig Jahre hatte ich nicht durchgeschlafen. Wenn es halb eins war, die Näherei rum, die Wandfliesen mit Acryl-Lack überzogen, da lohnte es sich nicht, schlafen zu gehen, denn das Baby kam um halb 2 und dann wieder um fünf-halb sechs. Zwischen 2 und fünf-halbsechs. Das war meine Zeit. Da schlief ich tief und fest und hörte nichts von dem Polizei-Einsatz in der Wohnung über mir. Und wenn in dieser Zeit die Welt untergegangen wäre…..aber ab halb sechs natürlich nicht mehr. Da war ich wach, da blieb ich wach, weil eh bald die anderen Kinder aufstehen würden.

Ich glaube, kaum jemand kann nachvollziehen, wie es ist, wenn das letzte Baby endlich durchschläft und man von 12 Uhr nachts bis 6 Uhr morgens schlafen kann.

Und dann war er also da, der Was-Nun-Zeitpunkt.

Dieser Zeitpunkt ist nun fasst 18 Jahre her. 18 Jahre. Raus aus der Randgruppe, rein in das bürgerliche Ambiente der Nachbarschaft. Raus aus dem Sozialbau und rein in die Doppelhaushälft….und immer noch Randgruppe.