Nie

Nie hätte ich gedacht, was Ahnenforschung nach sich zieht. Nie. Niemals. Ich habe gedacht, ich forsche zu Elfriede, schreibe eine Kurzgeschichte und hefte sie zu den Unterlagen und hinterlasse meinen Kindern ein kleines Büchlein der individuellen Familiengeschichte. Und dann buddel ich mal ein bisschen nach dem Vater meines Vaters, schreibe noch so ein altersverklärtes Ding, hefte den Stammbaum und die Urkunden dazu und zack. Nettes Überbleibsel, um das sie sich kloppen können.

Kann keiner sagen, ich hätte ihnen außer meiner Klopapier-Sammlung nichts hinterlassen. Mein Amazon-Dauerauftrag stimmt noch nicht mit den Bedürfnissen dieser Familie überein.

So. Und nun lese ich wirklich viel im Netz, man muss ja verstehen. Und  heute habe ich eine Seite gefunden, die genetische Tests anbietet, um herauszufinden, ob man jüdische Wurzeln hat.  Man nimmt diese Gruppe gern für Tests, weil sie ab dem 5. Jahrhundert so eine homogene Gruppe waren und man nicht mehr konvertieren konnte und bla….stimmt ja nun auch nicht so ganz, wie die deutsche Geschichte belegt. Aber, so jedenfalls die Betreiberin dieser 179-Euro-Unternehmung im Welt-Interview.

Was ist mit den Menschen los? Haben die nix gelernt? Gar nichts??? Ein Juden-Gen??? Gibt es dann auch ein Christen-Gen?

Ehrlich, ich habe in Artikeln gelesen, dass sich die traumatischen Erfahrungen der Eltern im Genpool der Kinder wiederfinden sollen. Und das von und das von renommierten Wissenschaftlern. Sind denn alle meschugge?

Verhalten wird übernommen in das eigene Verhalten. Und zwar ohne Worte. Aber erlerntes Verhalten hat doch nix mit den Genen zu tun. Sonst wäre ja mittlerweile auch genetisch angelegt, einen Dosenöffner zu benutzen, so lange wie es den schon gibt.

Wenn sich doch alles genetisch niederschlägt, warum müssen wir den Kindern denn dann die Nutzung von Besteck bei bringen? Sie erkennen ja nicht mal den Fingerhut als giftig, wenn man es ihnen nicht bei bringt. Warum ist das denn noch nicht in der DNA?

Was für eine Welt? Und welcher Führer wird wieder mit dem Rasse-Scheiß um die Ecke kommen und diesmal dient der DNA-Test als Arier-Nachweis? So toll unsere Wissenschaft ist, es gab immer einen Vollhorst, der es gegen die Menschheit verwendet hat. Denkt mal nur an die Atombombe.

Nicht verwandt

Heute kamen nun die ersten Urkunden aus dem Dorf meines Vaters. Und ich habe den Auszug aus dem Geburtsregister bestellt, weil bei meinem Auszug alle meine Kinder vermerkt sind.

Der Auszug meiner Oma kam und es stand nur ein Kind drauf. Mein Vater. Also habe ich angerufen. Habe nach dem Vater meines Vaters, der wieder nur ein weißer Fleck ist und nach meinem Großvater und meiner Tante gefragt. Zum Großvater kriege ich keine Auskunft. Ich bin mit ihm nicht verwandt. Also trage ich einen Namen von Leuten, mit denen ich überhaupt nicht verwandt bin und meine Tante gibt es nicht, weil bei meiner Oma nur das eine Kind eingetragen ist, nämlich mein Vater.

Und besonders ist, dass nicht eine Hebamme das Kind angemeldet hat beim Standesamt, sondern mein Vater wurde von seinem Großvater angemeldet.

Langsam wird es zur Identitätssuche.

Telefonat mit Mäl

Ich habe seinen Namen jetzt mal phonetisch geschrieben, weil man sonst immer Mal liest.

Also, Telefonat mit Mäl. Er ist mein Asperger und er sieht die Dinge immer so schön emotionslos, so trocken, dass es wieder leicht wird. So klar und nicht so gefühlsduselig wie ich.

Ich habe ihn angerufen, weil wir A. im Knast besuchen sollten, der sich aber nicht mehr gemeldet hat.

Und dann habe ich ihm von Tante J. erzählt. Also erst mal habe ich mich über meinen Taufspruch aufgeregt.

„Mal, Alter, und mein Taufspruch! Lukas 18,31. Wer gibt dem ’nem Kind so was als Taufspruch?! Ich hätte irgendwas blumiges, nettes erwartet, so was wie „der Sonnenuntergang ist die schützende Hand, die dich führt“ oder so, aber doch nicht die dritte Sterbeankündigung, in der es um Folter und Kreuz und alles geht, die die Jünger nicht kapieren!“

„Ja, wieso? Ist doch so!“ kommt da von Mal.

„MAL! „

„Ja, ist doch so. Dir hören sie doch auch nicht zu!“ Mit sie meint er die Familie, seine großen Geschwister. „Und welchen habe ich?“ Immerhin zahlt er Kirchensteuer.

„Du bist das Salz der Erde. Und hinten dran, was wäre in der Welt ohne das Salz. Ich durfte ihn aussuchen und habe mit dem Pastor gekämpft um den Teil, in dem es geht, wie es ist, wenn das Salz auf der Straße zertreten wird und nicht mehr da ist. Das war dem zu negativ. Und dann hat Tante J. gesagt, das Mädchen immer ihren Vater heiraten und sie hat so verschmitzt geguckt…“ , sage ich.

„Ja und?“

„Ja, Mal, dann wäre mein Vater ein Säufer, ein Lügner, ein Betrüger, ein Dieb, ein Schläger und ein Mörder!“ Den ganzen Tag bin ich schon entsetzt darüber und esse die ganze Zeit diese trockenen mülmenden Teekekse aus der Tüte, die der Hund so mag.

„Ja isser ja auch, was ich von dem gehört habe. „

„Mörder?!“

„Ja, halt Selbstmörder halt. Ist auch einer.“

Und jetzt wird auch klar, warum ich Familiengeschichte in kleinen Dosen brauche, so dass ich es erstmal verdauen kann.

Aber in dem Gespräch mit Tante J. habe ich raus gefunden, dass ich in der Familie gar nicht mehr die einzige Asi-Schlampe mit den vielen Kindern bin, weil auch väterlicherseits „die “ oft gern viele Kinder hatten.

Blick zurück….

…oder was es mit der Erbsünde auf sich hat. Keine Ahnung, wieso, warum und warum gerade jetzt….Die Zeit war schlecht, aber lehrreich. Alles, was passiert hat seinen Sinn und auch das, was man als schlecht erlebt, bringt einen weiter. Nutzt nur nichts, wenn es gerade passiert.

Das zu meiner Umschulung gehörige Praktikum war schwierig. Und ich bin oft verzweifelt. Aber es hat mich gezwungen, Dinge anders zu sehen. Ich gehe nun wirklich aufrechter und bin das schwarze Schaf meiner Familie, weil ich nicht mehr mit mache. Jede Familie hat einen Ausreißer, sagte Julia. Und dieser Ausreißer bin nun ich.

Ich habe immer mal in der Familienhistorie geforscht, merkte aber schnell, dass ich das Bild, das meine Mutter hatte, besser nicht anfassen sollte. Sie ist nicht böse, egal was war. Aber es macht ihr bedrohlich Angst, so bedrohlich, dass Tatsachen in diesem Leben nicht richtig Platz finden. Also habe ich den Plan zu gucken, aufgeschoben. Wenn die Kinder mal groß sind, meine Mutter nicht mehr ist….DANN, dann mache ich das.

Und es klopfte an. Klopfte erst leise, dann irgendwann lauter und ich wurde älter und mir war klar, meine Zeit läuft. Alle lachen, wenn ich sage, dass ich den Sonnenuntergang am Horizont schon sehen kann. Tante J., mit der ich gestern das erste Mal nach Jahrzehnten sprach, verglich das Leben mit einem Maßband, kein Meter lang, nur achtzig Zentimeter und auch bei mir bleiben bei ihrem Zentimetermaß nicht mehr viele über.

Irgendwann bollerte es an die Tür und ich musste gehen und sie aufmachen. Meine Mutter mit ihrem Krebs, die Pflege in die Hände meiner erwachsenen Kinder und eines Pflegedienstes. Ich brauche die Freiheit ohne schlechtes Gewissen zu gucken. Wer waren die alle? Was ist nach heute rüber geschwappt?

Vor vielen Jahren sagte meine Hebamme, die Traumen des Krieges hielten noch an. Habe ich nicht verstanden und mir deshalb gemerkt. Und je älter ich wurde, desto klarer wurde das. In der Kirche mag man es wohl Erbschuld nennen. Die, die sich über Generationen fort setzt. Und die will ich mir nun endlich angucken.

Nicht einfach. Erleichternd ist, fest zu stellen, dass das Gut in Schlesien ein Bauernhof war. Das war schon mal erleichternd. Und dann habe ich raus gefunden, wo der Großvater abgeblieben ist. Als ich das meiner Mutter sagte, sagte sie nur: „Da fahr ich nicht hin!“. Und mir war klar, das rüttelt am Bild. Ich habe raus gefunden, dass die erste Frau dieses Mannes nicht ertränkt worden war, sondern nach einer Totgeburt den Freitot gewählt hat. Und das war mal richtig erleichternd.

Und weil sich immer das eine zum anderen fügt, habe ich angefangen, auch auf Vaters Seite zu suchen.

Nicht einfach.

Das ist nicht einfach. Nach hinten gucken, nach vorne leben. Das nach hinten gucken geht nicht am Stück. Man muss das erstmal verdauen.

Aber einer muss es sich angucken. Immer.