Ich fahre die Schnitte zur Tagesmutter, Lina liegt bereit und ich freue mich auf die Eigentwerte, Lernen in Ruhe mit ohne Kinder.
Auf dem Weg aus dem Tor raus sehe ich ein junges Mädchen, 14, 15 vllt, ohne Schuhe, mit Händi in der Hand geht sie zielgerichtet aus dem Tor und biegt rechts ab in die Feldmark, da , wor der Weg einmal rund rum ums Kloster geht.
Ha, denke, die haben Besuch! Und: Siehste, gibt noch andere Leute, die gern barfuss laufen!
Als ich zurück komme, sitzt das Mädel einem der weißen Steinpoller, die die Einfahrt zum Parkplatz verengen. Sie sieht irgendwie zerstört aus, einen anderen Ausdruck habe ich nicht.
Also halte ich an und frage, ob alles in Ordnung ist oder ob sie Hilfe braucht. Sie weint und erklärt, das sie von zuhause weggelaufen ist, weil sie geschlagen worden ist. Ich bleibe da, streichele den Arm. Sie erklärt, ihr Onkel würde sie gleich abholen kommen und ich will sie nicht alleine lassen.
Hm. Was kann ich tun? Ich frage sie, ob sie was trinken will. Jo, willse. Gut. Hole ich Flasche Sprudelwasser aus der Wohnung, Becher sind mal wieder alle….also Metallbecher, geht auch.
Zurück sage ich ihr, sie soll sich doch einfach ins Auto setzen, so mit ohne Schuhe und Jacke , weil es zu regnen anfängt.
Das Auto steht im Weg, also parke ich es so blöd vor dem Tor, das jeder, der kommt , es sehen muss.
Wir quatschen bissie. Sie ist erst zwölf. Erzählt vom Onkel, mit dem es keinen Kontakt mehr gibt, weil die Mutter sich mit ihm zerstritten hat schon vor Jahren. Erzählt, das ihr das Handy abgenommen worden ist heute morgen, nach dem ich wissen wollte, warum sie nicht in der Schule ist, und sie halt gesagt habe, ohne Handy keine Schule. Ich frage sie, warum die Mutter ihr heute morgen das Handy abgenommen hat. Sie reibt mit den Händen über den Oberschenkel und denke, okay, will sie nicht anworten. Frage nach Geschwistern, weiß das sie drei in Berlin hat, einen hier. Erfahre, das das mit dem Freund der Mutter nicht klappt, der ihr Handy mitbenutzt und alle Nummern gelöscht hat. Was ein Blödmann, denk ich, ein Prepayd-Handy kostet doch schon unter zehn Euro. Kann der sich kein eigenes kaufen?
Während dessen klingelt ihr Handy, eine Frau ruft an. Das Mädel gibt mir das Handy.
Ich spreche kurz mit ihr, sie fragt mich, ob ich das Mädel zum Jugenamt fahren kann. Klar kann ich.
Und sie redet von einstweiliger Verfügung und ich denke…Boah, was ein Stress und sage ihr, das das nicht wirklich nötig ist, weil das Mädel ja schon zwölf ist und ein Mitspracherecht hat. Ma immer langsam bitte und nicht noch mehr Öl, ist eh schon alles Scheisse genug.
Als wir vorn an der Ampel sind , erzählt mir das Mädel , das sie noch gar nicht so lange weiß, das ihr Vater ihr Vater ist, also sie einen anderen hat. Und sie dieses Jahr das erste mal dort war in Berlin…und denke: Boah, was eine furchtbare Situation für die Schnitte. Auf einmal ist nicht mehr alles so wie es war. Da wird Dir ein Vater präsentiert. Das der gottähnlichen Status hat, das ist mir klar. Immerhin erzählt sie von Audis und 500 Euro teuren Autositzen und wie toll die neue Familie ist und und
Die Schnitte hat Hunger. Gut so. Kinder müssen essen. Ich sage ihr, das ich keine Bäcker in Jürgenohl nehmen mag, weil da wohnt sie und ich mache mich eigentlich grad strafbar, weil ich ihre Mutter nicht informiere.
Und wieder klingelt das Telefon, wieder die Frau, von der ich mittlerweile weiß, das sie die neue Frau des Vaters ist. Vater und Mutter hatten sich von zwölf Jahren getrennt. Schlechte Ausgangssituation für eine Mutter-Kind-Beziehung, wenn die Trennung vor zwölf Jahren war und das Mädel tatsächlich erst zwölf ist.
Bei Jugendamt finde ich einen Bäcker, hole ihr zwei Käsebrötchen, sie hätte gern eins, natürlich mit Belag, ist klar. Ist alles schon angstrengend genug, da muss man wenigstens essen , damit man Kraft hat.
Als ich vom Bäcker ins Auto zurück komme, klingelt das Handy wieder. Wieder ist der Lautsprecher an und die Frau aus Berlin, die wieder dran ist, nervt mich einfach nur noch mit ihrem: „Du musst aber alles sagen, nicht wieder was verscheigen….sag denen alles, hörst Du!“ Wie oft die Sätze „Hörst Du!“ und „Mach das so!“ gefallen sind, kann ich nicht sagen, schon nach dem zweiten Anruf habe ich mich gefragt, ob das die richtige Wahl ist, Berlin, aber jetzt, kurz vor dem Jugendamt bin ich nur noch genervt von diesem „Hörst Du!“ und „mach das so!“ Da hilft auch nicht ihr ewiges: „Ich bin für Dich da. Du kannst zu uns kommen…“
Sie will mich noch mal sprechen, aber ich will einparken.
Der Sachbearbeiter beim Jugendamt ist nicht da. Aber ein anderer netter. Ich schildere kurz das Auffinden, verabschiede mich und sage ihr, das sie jederzeit kommen kann, wenn was ist, aber nicht einfach auf dem Stein sitzen, denn mittlerweile schüttet es aus Kübeln, einfach kommen und klingeln, denn immerhin weiß ich ja nun, das sie mit D. und A. die gleiche Schule besucht.
Baoh, bin ich froh, das ich nicht in der Situation des Mädels sitze. Und ja, ich finde die Erwachsenen, die da beteiligt sind, grad irgendwie scheisse.
Als ich auf den Hof komme, ist der Onkel da, der aus Oker, von dem mir das Mädel erzählt hat, das die Mutter sich vor Jahren mit dem zerstritten, der ist wohl zu Gericht, weil die Mutter die Kinder schlage….ich sage ihm, wo die Schnitte ist.
Liebe Erwachsene,
erstens : Kloppen geht gar nicht.
zweitens: Es wäre mal gut, wenn sich niemand über den anderen stellt, nur weil man drei Kinder hat, ist man keine bessere Mutter als wenn man zwei Kinder hat, auch dann nicht, wenn sich die Familie in Berlin einen Kindersitz für 500 Euro leisten kann, das Töchterchen aber im sozialen Brennpunkt von GS lebt, also wohl wenig Geld vorhanden sein wird.
Drittens:
Dank der Trennung des Eltern vor zwölf Jahren und die Schnitte ist ja mal grad zwölf ,haben es Mutter und Tochter sowieso schon extrem schwer. Mit der Nummer: Frau anbrüten und kurz vor dem Wurf feststellen, das nicht meine Nummer, meine lieben Herren der Schöpfung, damit richtet ihr ein Desaster im Leben von Mutter und Kind an, da ist der Tsunamie, der Japan zerlegt hat ein Scheissdreck gegen. Vielleicht mal vorher drüber nachdenken, bevor man poppt: Wer Lotto spielen kann, der muss auch mit dem Hauptgewinn rechnen!
V iertens:
Die Schnitte ist zwölf, sieht aber älter aus. Pubertät. Das kann man echt unkommentiert stehen lassen, vllt soviel: Eltern sind da immer scheisse, vor allem die, die den Alltag mit leben.
Füntens:
Mit zwölf wird der neue Freund der Mutter kein Vater mehr. Der is einer, der einem die Mutter ein Stück weit weg nimmt, das ist alles. Er kann höchstens ein Freund, ein väterlicher Freund des Kindes werden, mehr nicht, aber auch nicht weniger.
So. Und nun mal zum dem Job, den ihr Erwachsenen alle habt: Ihr solltet das Mädel unterstützen. Die muss nämlich erstmal sortieren, wenn sie erst vor kurzem erfahren hat, das ihr Vater ihr Vater ist und es nicht ist, wie sie bisher dachte.
Also ma langsam bitte.
Die muss erstmal sortieren, wer sie ist, was sie will, wohin sie will, die Pubertät zu dem auch noch. Hört mal auf rumzuzerren. Lasst die mal zu sich kommen. Sonst kann auch Schule nix werden.
Nix für ungut, ehrlich. Aber so nich.
Bei anderen kann man eh immer besser so sehen, wo der Hund begraben ist, aber…es musste mal gesagt werden.