Post

Nun habe ich Zeit.

Und eins, der auf die Bank geschobenen Dinge, ist Elfriede Lina Martha Thomas.

Sie gehörte zu den Totgeschwiegenen. Sie war die erste Ehefrau meines Großvaters, die im Juni 1941 im Münde-See ertrunken war.  „Man hat die auch damals ertränkt.“ Das sagte die Frau vom Standesamt in Angermünde am Telefon.

Schon Anfang 1942, im Februar, heiratete mein Großvater meine Großmutter und zeugte meine Mutter, die Anfang November geboren wurde, später noch meine Tante und dann war er weg.

Verschwunden hieß es. Flieger soll er gewesen sein. Irgendwas mit Führerhauptquartier….Vermisst in Russland. Aber mehr kam nicht. Und meine Mutter hoffte nicht nur als Kind, er möge doch einfach wieder auftauchen. Gefragt hat man nicht und meine Mutter tat immer so, wenn sie die Kleinigkeiten von sich gab, als wäre ich ihre kindliche Vertraute.

Und weil Elfriede, die erste Frau meines Großvaters bei uns dazugehört, fing ich an zu suchen.  ich fing an, jede Geschichte zu überprüfen und meine Mutter redete sich in kindlichem Eifer in ihre Geschichten…

Immerhin war ich froh, dass ich die Adresse meiner Urgroßeltern stimmte.

Eigentlich geht es ja um Elfriede, aber ….also suchte ich meinen Großvater. Immerhin hatte er sie ja vorher geheiratet….keine Kinder soll es aus dieser Ehe gegeben , geheiratet hatte er sie 1935. Merkwürdig war zudem, das der Landarbeiter Gustav Adolf zu Vermögen gekommen war und meine Großmutter nach der Heirat in seine Wohnung am Paradeplatz zog und sie, als meine Uroma kam, Glacé holen ging.  Was  ganz, ganz und noch mehr besonderes, so sagte man mir.

Und dann habe ich mich auf die Suche nach dem vermissten Flieger aus dem Führerhauptquartier in Russland gemacht. Und ich bekam Post.

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Dieser Brief fühlte sich in der Hand seltsam an.

Umstände

Die genauen Umstände seines Tode sind uns nicht bekannt. Das klingt nicht gut, das will man nicht wissen.

„Das war wegen der hellen Uniform! Die Flieger hatten so eine hellere Uniform! Deswegen ist der erschossen worden. Ein Bauchschuss!“ sagt Omma.

„Mama, der war kein Flieger. Die Uniform auf dem Hochzeitsbild..“

„Der war FLIEGER! Bordfunker!“ Sie wird sauer. Ich lasse es.

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„Und wo ist er jetzt?“

„In MmmlaWwka.“

Sie will wissen, wo das ist.

„Etwa eine Stunde von Osterode in Polen.“

Sie will noch mal wissen, wie das heißt.

Ich kann kein polnisch. Also sage ich den eingedeutschten Namen: Mielau.

Mit dem Wissen ist ein Teil in mir friedlich geworden. Ruhig und friedlich.

„Da fahre ich nicht hin! Da fahren wir nicht hin!“ Sie ist sich da sicher.

„Ja.“ Du fährst da nicht hin, Mama, aber ich irgendwann schon.

Ich bin froh, zu wissen, wo er ist. Aber ich bin nicht mehr ihre kindliche Vertraute, denn bei Omma legt sich über das Wissen wieder die kindliche Wahrheit…er war Flieger, Führerhauptquartier und so.

Aber mit dieser inneren Ruhe kann ich mich wieder auf die Suche nach Elfriede machen, denn um die geht es doch eigentlich….die soll nicht in Vergessenheit geraten…

 

15 Gedanken zu “Post

    • Weißt Du, es wird viel über die Opfer aus der Zeit berichtet, aber da sind doch auch die anderen, Täter und manche Opfer und Täter zugleich….und ich bin in einer Zeit groß geworden, da haben sie geschwiegen. In meiner Familie gibt es Menschen, die waren nicht einfach nur tot, sondern sie wurden auch noch tot geschwiegen. Normalerweise ist es doch so, wenn jemand von dieser Welt geht, dann wird immer noch aus guten Zeiten erzählt. Dieses „Weißt Du noch, damals, als der sein erstes Fahrrad hatte….“ Meine Großeltern hatten, wenn sie Glück und meine Uroma hatten, immerhin noch eine Kindheit, aber danach gab es nur eine Zeit nach dem Krieg. Das hat so ein seltsames Gefühl hinter lassen. Und jetzt bin ich alt, kann keinem von ihnen auf die Füsse mehr treten, weil auch sie schon lange weg sind und kann gucken und versuchen zu verstehen, warum sie welche Entscheidung getroffen haben.

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  1. Das mag durchaus sein. Denke mal dran, auch ich habe noch den Satz gehört, ein Baby muss auch mal schreien. Und alle vier Stunden sollte es anfangs gefüttert werden, nicht häufiger. Und dann auch noch eine bestimmte Menge und alle sowas. Hab ich nie hingekriegt. Ging nicht. Hab ganz lange Arme vom Rumtragen bekommen und konnte fast alles mit einer Hand erledigen. Also alles ganz anders als es sein sollte. Und jetzt fangen sie in den Krankenhäusern wieder damit an, das Kinder nur alle vier Stunden gefüttert werden sollen und dann mit einer bestimmten Menge. Wenn die Kiddies später wütend sind, dann müssen sie das auch mal rausbrüllen, aber wenn die ganz neu sind, dann macht Hunger Todesangst. Und das geht einfach nicht, finde ich.

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    • Heute haben wir endlich sowohl die Möglichkeiten als auch die Gelegenheit, diese alten, belastenden Muster aufzubrechen, damit sie in Zukunft nicht mehr so weitrechend wirken können. Es setzten sich aktuell sehr viele Kriegskinder, Kriegsenkel und Kriegsurenkel inzwischen mit diesem Thema auseinander und in den Medien wird das Thema auch immer präsenter

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