Bewegung II

Ich telefoniere mit Omma. Für Omma habe ich die wenigste Zeit und für meinen Hund.

Also, ich telefoniere. C. reißt die Tür auf und ist ganz aufgeregt, nicht positiv, denn sein Gesicht drückt ein Desaster aus.

Ich unterbreche das Gespräch mit Omma. C. erklärt mir, daß Groß -E. ihn angesprochen habe, weil Vicki ihr ein Foto geschickt habe über What’s-app, auf dem Vicki eine Prellmarke habe. Sie sei von ihrer Mutter geschlagen worden.

C. ist verzweifelt, er weiß nicht, was er machen soll.

„Na, wenn das so schlimm ist, dann müssen wir die Polizei verständigen“, sage ich. Wir sind Pflege-Eltern und können es uns schon dreimal nicht leisten, in sowas reingezogen zu werden.

C. weiß es nicht, ob man sich da nicht raushalten solle.

Und so gehe ich zu Groß -E., die schon im Esszimmer wartet. Groß -E. erzählt. Vicki hat ja schon einmal bei uns übernachtet, als ihre Mutter mit ihrem neuen Freund allein in den Urlaub geflogen war und Vicki, die nicht bei den Großeltern schlafen wollte, dann doch zuhause Angst hatte und immer wieder forderte, das Groß-E. doch bei ihr übernachte.

Hey, das sind Mädchen. Die sind 14. Übernachten in sturmfreier Bude? Auf GAR KEINEN Fall.

Und so hatte Vicki bei uns geschlafen und ich hatte ihr das Steak-Messer abgenommen, mit dem sie sich abends noch ritzen wollte. Anscheinend so zum Einschlafen. SOWAS wird bei uns nicht gemacht. Basta. Die nächste Nacht wollte sie dann lieber wieder zuhause schlafen. Nunja.

Aber zurück zu dem Bild mit der Prellmarke, daß sie meiner Tochter auf das Handy geschickt hatte.

Meine Tochter erzählte mir, daß sie schon des öfteren von Vicki gehört habe, die Mutter schlage sie. Die Mutter tut mir nur leid. Vicki bestahl ihre Schulkameraden, musste aus Hamburg von der Klassenfahrt abgeholt werden, musste die Klasse wechseln, und hat jetzt vor, die elf Fünfen in den 14 Fächern, die davon zeugen, die Klasse nicht geschafft zu haben, mit Hilfe eines Scanners so zu verändern, daß die Mutter ein anderes Zeugnis vorgelegt bekommt.

Aber zurück zu dem Prellmarken -Bild.

Groß-E. erzählte und war sichtlich genauso überfordert wie C.

Mutter,(pragmatisch): „Zeig mir doch das Bild mal.“

Meine Tochter machte ihr Handy an und ließ mich das Bild sehen. Eine handtellergroße Prellmarke mit blauer Unterlaufung saß unter dem linken Auge.

„Freunde, das muß zur Polizei.“

Und Groß-E. hatte noch zwei Geschichten auf Lager, die Vicki ihr über die häuslichen Mißhandlungen erzählt hatte. Und auch noch ein Bild, auf dem das andere Auge betroffen war.

„Nee, Leute, die Prellmarke sitzt genau auf dem Joch-Bein. DAS ist jetzt eine Hausnummer für sich. E., du schickst mir das Bild und kommst mit! Wir fahren zur Polizei.“

C. wollte nicht. Er wollte sich da nicht einmischen, der Mutter, die es wirklich nicht leicht mit ihrer Tochter hat, nicht zu nahe treten. Er hatten die Konsequenzen vor dem inneren Auge.

„C., ernsthaft. Da muß was passieren! Sowas wird nicht besser, sowas eskaliert. Und Vicki ritzt sich, säuft, konsumiert Drogen, klaut. So oder so, die brauchen da Hilfe und manchmal muß der Anstoß von außen kommen! Wenn da was passiert und die gucken in das Handy von dem Mädel und sehen, das wir davon gewußt haben, weil sie das Bild geschickt hat….“ C. ist klug.

Er fahre mit Groß-E. zur Polizei.

Hat er gemacht. Und als er wieder kam, machte er sich Sorgen und Sorgen und Sorgen.

Dann kam der Rückruf von der Polizei. Vicki hat sich das aufgeschminkt. Es gab im Real-Life keine Prellmarke.

C. war geschockt.

„Man, Liebster, die braucht Hilfe, die Vicki. Die braucht richtig Hilfe. Rumritzen und sowas. Stell dir mal vor, wir hätten nichts gemacht und irgendwann hätte die noch mehr Fotos geschickt, wie soll denn die Mutter beweisen, dass da nix war? Und die Mutter muß auch wissen, was ihre Tochter über sie behauptet.“

Aber damit war es noch nicht rum.

Tags drauf kommt C. auf mich zugestürmt. Er habe in das Handy von Groß-E. geguckt.

Ich muss dazu sagen, daß ich den Mädchen hier die Handys regelmässig abnehme, damit sie nicht mehr bis nachts um drei what’s-appen.Ich gucke nicht in ihre Handys. Das geht mich nichts an. Aber C. hatte das Handy an den Computer angeschlossen und Nacktbilder von Groß-E. gefunden.

„Das geht uns nichts an.“ Ich bin der festen Überzeugung, daß es Dinge gibt, die uns nichts angehen.

„Sie hat sie verschickt.“

„An wem?“

„Kann ich nicht sehen, ich kann ja nur auf die Dateien zugreifen, die, die unter gesendet und empfangen abgelegt sind. Weiß Du noch, als sie die ganzen Knutschflecke hatte?“

„C., das geht uns nichts an. Wenn sie auf sowas steht, dann ist das ihre Sache. GANZ ALLEIN ihre Sache!“

„Ja, solche Bilder sind da auch und die sind…..die sind….sind….so…“

„Pornographisch?“

„Ja.“

„C., das ist ihre Sache“

C. schlief nicht mehr.

Wieder tags drauf kam Groß-E. zu mir, ob Katja zu uns kommen könne, sie habe ihren Eltern gesagt, sie sei bei Vicki, aber Vicki dürfe sich ja nicht verabreden und auch keinen Besuch bekommen und deshalb müsse Katja bis 23 Uhr warten, dann könne sie zu Vicki.

„Ja, Katja könne zu uns.“

C. wußte nicht, ob er Groß-E. ansprechen solle. Und ich sagte ihm, er dürfe es nicht. Denn: Das Handy ist ihre Sache. Das ist was Privates.

Um dreiviertel elf nachts krachte es bei uns.

Ich hatte zwischenzeitlich von Groß-E. erfahren, daß Katja nicht bei Vicki übernachten würde, sondern diese aus dem Fenster steige und beide Mädels durch die nächtliche Stadt schingeln würden.

Auf gar keinen Fall!

Ich habe Katja einen Vortrag gehalten, in dem auch vorkam, das sie zu schade für so etwas sei. Das die nächtliche Stadt genügend Gefahren bereit halte, und sie einfach nicht häßlich genug sei, um denen zu trotzen. Sie sei einfach zu wertvoll.

Katja wollte dann lieber nicht mehr gehen und ich sagte ihr, sie solle ihre Eltern anrufen und ihnen Bescheid geben.

Ihr Vater kam sie abholen und war aufgebracht. Aber ich gab ihm mehrfach zu bedenken, daß seine Tochter sich umentschieden habe, auch wenn es knapp vor kurz war. Katja weinte. Und ich habe ihr das gesagt, was ich denke. Das ich sie sehr mag und das es wichtig ist, das sie mit ihren Eltern offen spricht. Einfach so sagen, wie es ist. Sie ist doch eine Gute.

C. ging das zu weit. Er wollte ein Gespräch mit Groß-E.. Ich nicht. Ich hatte mit ihr am Vortag gesprochen und sie hatte mir erzählt, was sie doof an ihren Freundinnen fand, wer alles ritzte und worüber sie sich geärgert hatte. Nein, die Fotos habe ich nicht angesprochen.

Irgendwann kam er zu mir, weil sie mit ihm nicht sprach und erklärte mir, sie wisse, das er wisse.

Ich bin dann mit ihr ins  Gespräch und es kam raus, das, wenn sie bei Lisa übernachte, beide Mädchen oft bis nachts zwölf auf Vicki warteten und die dann kam und sie alle bis morgens um vier aufblieben, weil Vicki dann wieder nach Hause müsse.

Aber es hätte Streit zwischen Vicki und Lisa gegeben, weil letztere sich ausgenutzt fühle, und diese nächtlichen Besuche nicht mehr wolle.

„Boah, die hat meinen vollen Respekt.“ finde ich auch heute noch.

Ich wollte wissen, womit Vicki die Mädchen denn alle in der Hand habe, das sie alle so hoppchen machen. Kam dann raus.

Ja, zu den Bildern habe ich sie auch gefragt. Sie ist auf so typische Leute reingefallen.

C. sagte, man könne versuchen, das anzuzeigen, aber meistens sind die Server in Russland. Groß-E. will unbedingt nach Süd-Korea und hatte sich dort eine Plattform gesucht und von dort wurden die Bilder eingefordert. Sie bekam dafür einen Penis geschickt.

Ich habe mir das anghört und ihr gesagt, dass ich das recht dumm finde, weil die Fotos jetzt auf ewig im Netz bleiben. Und sie das ganz genau weiß, immerhin haben wir hier eine Menge Aufklärung betrieben.

„Naja, wirste mit leben müssen!“ Und damit war es für mich vom Tisch.

Die Handys nehme ich trotzdem immer wieder ab und lasse es ihnen für zwei Stunden am Tag. Am Tag, wohlgemerkt, nicht in der Nacht.

3 Gedanken zu “Bewegung II

    • Ich kann keine Hack-Lollies. Nee, ma im Ernst, sowas kann ich nicht. Sowas kommt in sowas doch eh nicht vor. Sowas gibt’s doch nur im wirklichen Leben. Das Mädel macht das nie wieder. Garantiert nicht. Oder möchtest Du morgens begrüßt werden mit „Na?! Wie is? Wieder Bilder mit ohne Klamotten verschickt?“ Wenn Du in so einer Familie wie meiner lebst, dann haste lange was von solchen Sachen. Irgendein Kamel erzählt das auf einem Groß-Event im Garten in den nächsten zehn Jahren bestimmt noch mal…. Und Vicki gehört nicht in meine Familie.

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